Die To-do-Liste ist noch deutlich voller, als es für den Tag eigentlich gut wäre, dabei haben Sie noch längst nicht so viele Schritte gemacht, wie Sie eigentlich wollten, und Ihr Schlaf-Tracker war mit Ihren letzten Nächten überhaupt nicht zufrieden? Sie sind nicht die einzige Führungskraft, der es so geht – und das ist erschreckend. Wer pausenlos dabei ist, sich selbst zu optimieren, verliert nämlich gleich zwei wichtige Punkte aus den Augen: die Führung des Teams – und absurderweise auch sich selbst. Ein Plädoyer für eine andere Prioritätensetzung.
Der Anspruch an sich selbst
Ob Sie immer schon den Blick auf die nächste Sprosse der Karriereleiter gerichtet hatten oder durch gute Leistungen quasi ungeplant in Ihrer Position gelandet sind: Eine Führungsposition macht etwas mit Ihnen. Sie führt dazu, dass Sie sich neu betrachten, Ihre bisherige Vorgehensweise prüfen und Ihre Prioritätensetzung infrage stellen. Verlangt der Job jetzt nicht von Ihnen, alles noch besser zu machen? Müssen Sie nicht etwas mehr an sich arbeiten?
Vor allem der heimliche Blick zur Seite und der Vergleich mit anderen Führungskräften kann wie eine kalte Dusche wirken: Der Tag Ihres Kollegen beginnt mit einer Stunde Lauftraining vor Sonnenaufgang. Und plötzlich fühlen Sie sich schlecht, weil Sie den Morgen am liebsten mit einem Marmeladenbrötchen begrüßen. Ist das noch okay? Müssen Sie Ihrer neuen Rolle anders gerecht werden?
Ein Gefühl der Peinlichkeit kann auch aufkommen, wenn Sie feststellen, dass Ihre neuen Kolleginnen und Kollegen aus der Führungsetage eleganter gekleidet sind als Sie. Vielleicht sollten Sie sich auch ein paar neue Stücke zulegen… aber am besten erst, wenn Sie so drei, vier Pfund verloren haben. Wenn Sie erst etwas fitter und besser gekleidet sind, wird der kleine Minderwertigkeitskomplex, den Sie sich mit der neuen Stelle zugelegt haben, sicher wieder verschwinden.
Es gibt nicht mehr als 100 Prozent
Sätze wie „Ich gebe immer 110 Prozent“ hätten nie gesagt werden dürfen. Sie gaukeln vor, dass es immer noch den Extraschritt gibt, das kleine Bisschen mehr, das man noch tun oder schaffen kann. Das ist schlicht falsch. 100 Prozent ist die Obergrenze, mehr ist nicht möglich. Und wer immer 100 Prozent gibt, rutscht schnell in einen Burnout.
Ihre 100 Prozent Zeit und Energie im Leben teilen Sie auf zwischen:
- Arbeit
- Familie
- Freundschaften
- Hobbys
- Gesundheitspflege, Vorbeugung, Sport etc.
In verschiedenen Lebensphasen verschieben sich die prozentualen Anteile. Sind Sie frisch Eltern geworden, steigt der familiäre Anteil naturgemäß an. Treten Sie eine neue Stelle als Führungskraft an, verschiebt sich die Verteilung zugunsten des Jobs: Sie müssen sich einarbeiten, Gespräche führen, herausfinden, wie viel Zeit Sie für verschiedene Aufgaben benötigen. All das ist zeitintensiv und dauert etwas, bis es sich eingependelt hat. Aber über 100 Prozent können Sie nicht hinausgehen: Was Sie mehr in den Job investieren, müssen Sie an anderen Stellen einsparen.
Der Denkfehler bei der Selbstoptimierung
Mit großer Wahrscheinlichkeit werden Sie feststellen, dass Sie die Zeit, die Sie für die neue Stelle brauchen, unterschätzt haben. Das ist normal: Kennt man etwas nicht oder nur vom Hörensagen, dann arbeitet man mit vielen Variablen. Stellen Sie nun zu Beginn Ihrer Tätigkeit als Führungskraft fest, dass Sie viel zu viel Zeit benötigen, bekommen Sie erst einmal einen Schrecken: Das muss sich ändern! Und da Sie Ihre Aufgaben nicht ändern können, überlegen Sie, wie Sie sich selbst ändern können.
Besser schlafen, zum Beispiel! Wenn Sie nachts aufwachen, kreisen Ihre Gedanken oft um den neuen Job und Sie schlafen nicht schnell wieder ein. Also laden Sie sich einen Schlaftracker herunter. Der sorgt allerdings nicht für einen besseren Schlaf, sondern bestätigt Ihnen morgens nur schwarz auf weiß, dass Sie im Schlafen gerade auch nicht besonders gut sind. Das Tool ist also keine Hilfe, sondern vergrößert nur Ihre Sorgen.
Info: Sobald Sie wieder besser schlafen und erholter sind, merken Sie das auch ohne Tracker.
Gleiches gilt, wenn Sie sich immer neue Organisationstools für den Arbeitsalltag zulegen: Wenn dauernd etwas bei Ihnen blinkt oder piept, um anzuzeigen, dass Sie mit einer Aufgabe im Verzug sind, ist das ein idealer Weg, um sich selbst in die Verzweiflung zu treiben. Es ist nicht nur für Ihr eigenes seelisches Wohlbefinden falsch, wenn Sie sich auf den Selbstoptimierungsweg begeben: Sie schenken darüber auch Ihren neuen Aufgaben nicht genug Aufmerksamkeit. Denn ja, Sie müssen führen – und zwar nicht, wenn Sie in die Rolle hineingewachsen und eine bessere Version Ihrer selbst geworden sind, sondern von Anfang an.
Das Team steht an erster Stelle
Möchten Sie Menschen bei ihrer Arbeit anleiten, müssen Sie zunächst wissen, mit wem Sie es zu tun haben, wie die Abläufe sind und welche Dynamiken es im Team gibt. Das ist vor allem deshalb schwierig, weil ein großer Teil davon unausgesprochen ist: Die Kolleginnen und Kollegen, die seit langer Zeit zusammenarbeiten, kennen alle Zusammenhänge. Allerdings ist das etwas, worüber man selten nachdenkt und was man noch seltener in Worte fasst.
Sprechen Sie mit Ihren Teammitgliedern. Lassen Sie sich berichten, wer was tut, was wie viel Zeit braucht und welche Herausforderungen es gibt. Fragen Sie auch gezielt nach, ob die Angestellten eventuell Vorschläge für Verbesserungen haben: Zwar müssen Sie nicht sofort mit allen Traditionen brechen, aber es kann durchaus sein, dass Sie einige überkommene Vorgehensweisen durch bessere Alternativen ersetzen können.
Es gibt mehrere gute Gründe, weshalb Sie frühzeitig nach Ihrem Jobantritt und danach regelmäßig Einzelgespräche anbieten sollten:
- Sie lernen die Mitarbeitenden kennen und bekommen ein Gespür dafür, wie sie ticken und wo ihre Prioritäten liegen.
- Sie erfahren frühzeitig von Animositäten oder Verstimmungen im Team, die sich zu echten Problemen auswachsen können, wenn Sie sie ignorieren.
- Sie bringen in Erfahrung, wer ehrgeizig ist und sich gern weiterentwickeln würde – so können Sie die geeigneten Schritte einleiten und zur Mitarbeiterbindung beitragen.
- Die Teammitglieder fassen Vertrauen zu Ihnen und haben keine Scheu davor, sich gegebenenfalls in Ausnahmesituationen an Sie zu wenden.
Erklären Sie von Anfang an, dass Sie an jedem Tag ein Zeitfenster haben, in dem Sie für das Team ansprechbar sind, wenn sie Fragen, Anmerkungen oder etwas auf dem Herzen haben – abseits von den üblichen kurzen Rückfragen, die die alltäglichen Aufgaben betreffen.
Puffer im Zeitplan
Es gibt einige Punkte, die in Ihrem Arbeitsalltag wichtig sind und die den Bürostunden einen festen Rahmen bieten:
- Sie müssen mit der Chefetage und gegebenenfalls Auftraggebenden Rücksprache halten.
- Sie müssen die Aufgaben für die Mitarbeitenden vorbereiten, sie unter ihnen verteilen und sie erläutern.
- Sie müssen an Meetings teilnehmen und Ihre Termine für die oben genannten Gespräche freihalten.
Hinzu kommen zahlreiche spontane Punkte: Plötzliche Neuerungen, Fehler, die passiert sind und ausgebügelt werden müssen, kurzfristige Anfrage – es ist also wichtig, dass Sie sich Ihre Tage nicht zu sehr anfüllen.
Achten Sie nach Möglichkeit darauf, dass es keine Katastrophe ist, wenn Sie sich kurzfristig und dringlich mit einem Thema befassen müssen: Es ist immer besser, zwischendurch etwas Leerlauf zu haben. Sie können die Zeit immer noch zum Vorarbeiten nutzen, Ihre Notizen für kommende Gespräche vervollständigen oder sogar operative Aufgaben übernehmen, die Sie ansonsten delegieren würden.
Mit genügend Zeit im Arbeitsalltag gelingt es Ihnen auch als Führungskraft, Resilienz aufzubauen. Das ist nicht nur für Sie wichtig, sondern auch für Ihr Team: Spüren die Mitarbeitenden, dass Sie sich gut um ihre Fragen und Anliegen kümmern und gleichzeitig Ruhe ausstrahlen, sorgt das für eine positive Stimmung am Arbeitsplatz: Ihre Leute wissen, dass sie sich auf Sie verlassen können.
Fazit: Teamnahe Führung statt Selbstoptimierung
Bedenken Sie immer, dass aller Anfang schwer ist. Sie müssen sich an neue Aufgaben gewöhnen und in sie hineinwachsen. Das tun Sie allerdings am besten, indem Sie sich erstens mit Ihrem Team vertraut machen und zweitens Ihre Aufgaben gesund priorisieren. Machen Sie nicht den Fehler, sich selbst auf ein neues Level heben zu wollen! Sind Sie bisher keinen Marathon gelaufen, es ist jetzt auch nicht der Zeitpunkt, damit anzufangen.
Ob Sie in Ihrer Businesskleidung aussehen wie ein Model oder wie die freundliche Person aus der Nachbarschaft, ist den meisten Leuten vollkommen egal: Solange Sie dafür Sorge tragen, dass das Team gut betreut und die Arbeit gut organisiert ist, werden Mitarbeitende und Vorgesetzte zufrieden sein. Andernfalls wird Ihnen auch das ansprechendste Äußere nicht weiterhelfen. Falls Sie Zweifel hegen, überlegen Sie einmal, wie oft Sie den folgenden Satz gehört haben: „Er ist der unfähigste Teamleiter, den wir je hatten, aber sooo schick!“
Bleiben Sie also bei Ihrem Marmeladenbrötchen zum Frühstück, wenn es Ihnen guttut, und zeigen Sie Ihrem Team, dass Sie bereit sind, mit allen Mitarbeitenden gemeinsam eine gute Dynamik zu entwickeln. Besser können Sie sich für Ihre neue Stelle gar nicht optimieren.
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