Introvertierte Menschen haben es in der aktuellen Arbeitswelt oft nicht leicht: Alles ist auf Teamarbeit ausgelegt, räumliche Nähe ist ebenso normal wie die sozialen Kontakte im Kollegenkreis außerhalb der Arbeitszeiten. Während extrovertierte Menschen in dieser Umgebung aufblühen, kostet sie introvertierte sehr viel Kraft. Das muss aber nicht so sein.
Definition: Was bedeutet introvertiert?
Der Begriff introvertiert stammt aus dem Lateinischen: „intro“ bedeutet „innen“, „vertere“ „wenden“ (und „extro“ „außen“). Introvertierte Menschen sind also eher nach innen gewandt – für sie gilt der Satz „In der Ruhe liegt die Kraft“. Extrovertierte Menschen hingegen benötigen äußere Reize, profitieren von der Interaktion mit Menschen und von immer neuen Eindrücken.
Tatsächlich gibt es physiologische Unterschiede in den Gehirnen von sehr introvertierten und sehr extrovertierten Menschen: Die Synapsen introvertierter Menschen sind von hoher Konnektivität und Sensibilität. Das führt dazu, dass die Betreffenden schnell an Reizüberflutung leiden. Je lebhafter das Umfeld ist, desto mehr Kraft kostet die Verarbeitung aller Eindrücke.
Entsprechend reagieren Introvertierte:
- Sie ziehen sich oft und gern zurück.
- Sie verzichten meist auf Smalltalk.
- Sie arbeiten gern allein für sich.
- Sie schreiben lieber Mails, als zu telefonieren.
- Sie verzichten häufig auf soziale Aktivitäten wie gemeinsame Mittagessen oder abendliches Ausgehen mit dem Kollegenkreis.
Introvertiertheit wird häufig mit Schüchternheit, Desinteresse, Unmotiviertheit, Langeweile oder Arroganz verwechselt. Das alles kann zwar (wie bei extrovertierten Menschen auch) zusätzlich auftreten, hängt aber mit der Introvertiertheit nicht zusammen.
Die meisten Menschen haben intro- und extrovertierte Züge – einige neigen mehr zur einen Seite, andere mehr zur anderen, viele bewegen sich dazwischen. Mengenmäßig sind die Ausprägungen gleichmäßig verteilt. Daher ist es ein Nachteil, dass Arbeitsumgebungen häufig überwiegend auf Extrovertierte ausgerichtet sind.
Das sind die Vorteile introvertierter Menschen für Arbeitgeber
Introvertierte Menschen haben einige Fähigkeiten, die in jeder Behörde und jedem Unternehmen gern gesehen sind:
- Sie arbeiten höchst konzentriert, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
- Die Qualität ihrer Arbeitsergebnisse ist für gewöhnlich hoch.
- Sie durchdenken Situationen sorgfältig und fällen meist fundierte Entscheidungen, was sie zu verlässlichen Ratgebern macht.
- Oft sind sie es, die kreative Ideen und originelle Lösungsansätze präsentieren – weil sie Dinge gern durchdenken und von verschiedenen Seiten betrachten.
- Sie sind gut im Zuhören und stellen kluge Fragen – gerade, weil ihnen Smalltalk fremd ist, können sie tiefgründige Gespräche führen, die allen Beteiligten Mehrwert bieten. Dadurch lernen sie viel über ihre Mitmenschen. Meist sind sie sehr empathisch.
- Introvertierte neigen dazu, auch die Vergangenheit immer wieder zu durchdenken und ihr eigenes Verhalten zu reflektieren – entsprechend sind sie nach Konflikten lernfähig.
Kurz: Sie sind nicht die auffälligsten Mitarbeitenden, aber doch solche, die man an jeder Arbeitsstelle braucht.
So können Führungskräfte auf Introvertierte eingehen
Es ist für alle Unternehmen und Behörden gut, wenn Introvertiertheit bei Diversity im Arbeitskontext mitgedacht wird.
Introvertierte haben andere Bedürfnisse als Extrovertierte. Sie als Führungskraft sollten nach Möglichkeit die folgenden Punkte berücksichtigen:
- Sie können, falls die Aufgabenlage das hergibt, introvertierten Mitarbeitenden Aufgaben übertragen, für die keine Teamarbeit nötig ist. Auch eine Neuverteilung der Aufgaben ist möglich, wenn ein neues Projekt beginnt.
- In Großraumbüros können Sie Noise Cancelling Kopfhörer zur Verfügung stellen, um die Reizüberflutung zu mindern.
- Ist es nicht möglich, kleinere Büros zur Verfügung zu stellen, können Sie introvertierten Mitarbeitenden vielleicht erlauben, nicht genutzte Konferenzräume als zeitweilige Arbeitsplätze zu nutzen.
- Bieten Sie nach Möglichkeit Gleitzeitregelungen an, damit introvertierte Mitarbeitende einen Teil ihrer Arbeit früh oder spät in einem überwiegend leeren Büro erledigen können.
- Falls Sie Ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit zum Homeoffice geben können, tun Sie das – die Arbeit introvertierter Kolleginnen und Kollegen wird sich signifikant verbessern.
- Geben Sie introvertierten Mitarbeitenden regelmäßig Feedback, loben Sie ihre Erfolge und streichen Sie ihre Stärken heraus. Sie selbst neigen nämlich eher dazu, ihre Fehler zu sehen und alles, was gut gelaufen ist, als Notwendigkeit und nichts Besonderes zu betrachten.
- Introvertierte brauchen für Entscheidungen länger als Extrovertierte, da sie alles gern gründlich durchdenken und Risiken und Vorteile abwägen. Steht also eine Entscheidung an, sollten Sie diese frühzeitig ankündigen, damit die Betreffenden Zeit haben, ohne Druck zu einem Ergebnis zu kommen.
Ein sehr simpler Punkt ist außerdem, dass Sie Introvertierten das Telefonieren erleichtern können. Oft haben diese einen Widerwillen dagegen, weil sie sich schnell auf etwas einstellen und aus dem Stegreif Antworten geben müssen. Kündigen Sie das Telefonat aber schriftlich mit etwas Vorlauf an und schreiben dazu, um welches Thema es gehen wird, haben die betreffenden Angestellten Zeit, sich darauf vorzubereiten. Oft haben sie dann die passenden Antworten parat, wenn Sie miteinander sprechen.
Das können Introvertierte selbst tun
Wenn Sie als introvertierte Person an einen Arbeitsplatz wie ein Großraumbüro kommen, sind Sie erst einmal wie erschlagen. Einfach die Zähne zusammenzubeißen und durchzuhalten, ist keine Option: Besser ist es, aufzuschreiben, was das Arbeiten erschwert (Geräuschkulisse, Ablenkungen, Unterbrechungen, grelles Licht etc.).
Wenden Sie sich an Ihre Vorgesetzte bzw. Ihren Vorgesetzten und erklären Sie, wie die Qualität Ihrer Arbeit besser ausfallen könnte. Möglich sind etwa:
- ein eigenes Büro bzw. ein kleinerer Raum mit einigen wenigen anderen Mitarbeitenden, die ebenso wie Sie mehr Ruhe und Abgeschiedenheit benötigen
- die Erlaubnis, in ungenutzten Konferenzräumen zu arbeiten
- Noise Cancelling Kopfhörer, die die Umgebungsgeräusche unterdrücken
- die Erlaubnis, früh zu kommen oder spät zu gehen, um zumindest zeitweise in einem halbwegs leeren Büro zu arbeiten
- die Erlaubnis, im Homeoffice zu arbeiten (bei Skepsis in diesem Punkt können Sie anbieten, zunächst versuchsweise von daheim aus zu arbeiten und es erst zu etablieren, wenn die Erfolge Ihnen Recht geben)
Die meisten Führungskräfte und Arbeitgeber lassen mit sich reden, wenn Sie ihnen erklären können, dass diese Besonderheiten Ihnen dabei helfen, Ihre Aufgaben bestmöglich zu erfüllen.
Strategien für den Arbeitsalltag
Haben Sie im Arbeitsalltag öfter das Gefühl, nicht gesehen zu werden, schwierigen Situationen ausgesetzt zu sein oder viele Fehler zu machen, können Sie verschiedene Strategien für sich nutzen:
- Haben Sie eine Aufgabe abgeschlossen oder positives Feedback bekommen, notieren Sie sich das, statt es als Muss zu sehen – kehren Sie Ihre Erfolge nicht unter den Teppich.
- Haben Sie mit ein wenig Hilfe von anderen Mitarbeitenden Ergebnisse erarbeitet, übernehmen Sie das Präsentieren – man soll Ihre Arbeit ja auch mit Ihnen verbinden. Sie können ruhig erwähnen, wer Ihnen geholfen hat, aber geben Sie die Präsentation nicht aus der Hand!
- Werden Sie angerufen, lassen Sie sich nicht zu sofortigen Antworten drängen, wenn Sie keine haben. Bitten Sie um etwas Bedenkzeit und stellen Sie einen Rückruf in Aussicht. Alternativ müssen Sie auch nicht bei jedem Klingeln sofort ans Telefon gehen – melden Sie sich zeitnah zurück, wenn es gut passt.
- Auch, wenn Sie Konflikten gern aus dem Weg gehen, lernen Sie, nein zu sagen: Es bringt nichts, wenn Sie sich überarbeiten, damit es anderen besser geht.
- Liegen Ihnen die übertragenen Aufgaben nicht, sprechen Sie aktiv mit Ihrer oder Ihrem Vorgesetzten darüber, welche der zukünftigen Aufgaben eventuell besser zu Ihnen passen könnten.
- Nehmen Sie am Arbeitsplatz oder in den Arbeitsprozessen etwas Verbesserungswürdiges wahr, präsentieren Sie dafür einen Lösungsvorschlag – so bleiben Sie als Person im Gedächtnis, der Probleme auffallen und die pragmatisch Abhilfe schafft.
- Wird ein Meeting angekündigt, können Sie bei den Verantwortlichen nachfragen, um welches Thema es geht, ob Lösungen gefunden, Entscheidungen getroffen oder lediglich Ideen gesammelt werden sollen. So können Sie sich im Vorfeld Gedanken machen. Fällt Ihnen nach dem Meeting etwas zum Thema ein, schreiben Sie einfach eine E-Mail, um Ihre Gedanken zu kommunizieren.
Wenn Sie sich zu geselligen Mittagessen mit Smalltalk nicht überwinden können, stehen Ihnen andere Möglichkeiten zum Netzwerken offen: Unterhalten Sie sich jeweils einzeln mit Kolleginnen und Kollegen, bei denen Sie Potenzial in der Zusammenarbeit sehen oder mit denen Sie Interessen teilen. Diese Gespräche sind immer substanzieller als Geplauder mit vielen, und Sie werden feststellen, dass Sie sich nach und nach ein festes Netz schaffen.
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