Manchmal, wenn man einen Blick in eine Managementkonferenz wirft, hat man einen seltsamen Vervielfältigungseffekt vor Augen: Die Teilnehmenden ähneln einander verblüffend – äußerlich, aber auch in der Kleidung und im Habitus. Hier hat etwas stattgefunden, das viele Namen hat: Das Mini-Me-Syndrom, der Klon-Effekt, der Thomas-Kreislauf, Uniformismus, Homosozialität, Ähnlichkeitsverzerrung – viele Begriffe beschreiben einen wiederkehrenden “Fehler”.
Das Mini-Me-Syndrom
Wenn wir in einem anderen Menschen Züge von uns wiedererkennen, fühlen wir Sympathie: Da ist etwas Vertrautes, die Person gibt uns ein Gefühl von Sicherheit und meist glauben wir, sie gut einschätzen zu können. Zudem neigen wir dazu, die Kompetenzen des betreffenden Menschen zu überschätzen – wir sind sozusagen positiv voreingenommen.
Was im Privatleben möglicherweise zu einem etwas eintönigen Alltag führt, hat im Arbeitsleben viel stärkere negative Auswirkungen: nicht nur auf die Karrieren von Menschen, sondern auch auf den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen und auf die Attraktivität von Arbeitgebern.
Vorgesetzte, die immer nur diejenigen befördern, die ihnen selbst ähneln, sorgen für eine unfruchtbare Monokultur.
Homosozialität ist nichts Neues…
Schon im Jahr 1977 beschrieb die Professorin und Soziologin Rosabeth Moss Kanter von der Harvard Business School die Tendenz von Führungskräften, andere Menschen auszuwählen, die ihnen ähneln. Sie wies anhand zahlreicher Karriereverläufe von Männern und Frauen nach, dass sich dieser Effekt in den höheren Hierarchieebenen verstärkt. Hier sind es vor allem Männer, die andere Männer bevorzugen, in denen sie sich wiederfinden. Mögliche Punkte, in denen Ähnlichkeiten auftreten können, sind die folgenden:
- Auftreten
- Alter
- Herkunft
- Wertvorstellungen
- Familienstand
- Ausbildung
- Hobbys
Andere Persönlichkeitsmerkmale wie etwa das Temperament, ähnliche Gesten oder der Kleidungsstil können ebenfalls eine Rolle spielen.
Ist eine Führungskraft von ihren eigenen Qualitäten überzeugt, was häufig der Fall ist, fördert sie Personen, die exakt diese Qualitäten mitzubringen scheinen. Kompliziert daran ist, dass die betreffenden Führungskräfte das meist unbewusst tun.
… aber brandaktuell
Im Jahr 2023 ergab eine Studie der AllBright Stiftung (zur Studie), dass zum ersten Mal überhaupt der überwiegende Anteil der 160 deutschen börsennotierten Unternehmen Frauen im Vorstand hatte: Von den Unternehmen haben nur noch 66 einen rein männlich besetzten Vorstand.
In 71 der 94 Unternehmen mit Frauen im Vorstand handelt es sich allerdings nur um jeweils eine einzige Frau. Das wirtschaftliche Machtgefälle zwischen den Geschlechtern ist also nach wie vor stark, die Angleichung der Geschlechterverteilung eher Augenwischerei als tatsächliche Anstrengung.
Nachteile des Mini-Me-Syndroms
Dass eine derartige Uniformität an keinem Arbeitsplatz förderlich ist, ist den meisten Personen in leitenden Positionen inzwischen klar, sei es in Behörden oder in Unternehmen. Längst ist schließlich in Studien wie der von Mckinsey aus dem Jahr 2020 (zur Studie) bewiesen, dass Diversity wichtiger denn je ist und gemischte Führungsteams zu einer überdurchschnittlichen Performance beitragen.
Die Nachteile des Klon-Effekts sind vielfältig:
- Es gibt kaum unterschiedliche Sichtweisen in der Führungsebene.
- Die Führungskräfte scharen Ja-Sager um sich, was dazu führt, dass konstruktive Kritik ausbleibt – etwas, das vor allem für eher unsichere Menschen in leitender Position wichtig ist.
- Fehler und Schritte in die falsche Richtung können so lange unbemerkt bleiben, bis man sich hoffnungslos verrannt hat.
- Mitarbeitende, die dem jeweiligen herrschenden Idealbild in der Behörde oder dem Unternehmen nicht entsprechen und daher bei Beförderungen unfair übergangen werden, bewerben sich oft bei anderen Arbeitsstellen.
- Fachkräfte, die nach einem Job suchen und sich mit der Behörde oder dem Unternehmen auseinandersetzen, können sich dank der auffälligen Eintönigkeit in der Führungsetage nach einem diverseren Arbeitsplatz umsehen.
- Innovationen bleiben eher aus, weil sich Denkansätze und Standpunkte nicht gegenseitig ergänzen können und es nicht zu einem Blick über den Tellerrand kommt.
- Die Führungsetage und schließlich auch die Teams verlieren die Fähigkeit zur konstruktiven Auseinandersetzung mit verschiedenen Blickwinkeln.
Die Arbeitsatmosphäre ist an solchen Arbeitsplätzen für genau einen Typus Mensch angenehm – für den nämlich, der der Schablone am meisten gleicht.
Auf dem vertrauten Auge blind
Die Verantwortlichen in den Unternehmen gehen mehrheitlich davon aus, dass ihre Beförderungsprozesse fair, neutral und transparent sind. Viele von ihnen wissen, dass sie ein Problem mit Diversity haben und fragen sich, weshalb das so ist.
Es zeigt sich, dass vor allem Mitarbeiterinnen nicht mit der positiven Beschreibung der Beförderungsprozesse übereinstimmen. Sie stoßen sowohl in Behörden als auch in Unternehmen immer wieder an die gläserne Decke. Betrachtet man den Klon-Effekt, ist das nur folgerichtig: An den meisten Arbeitsstellen sitzen traditionell Männer in der Führungsetage. Die wenigen Jahrzehnte, in denen Diversity und Gleichberechtigung im Arbeitsumfeld eine Rolle spielen, haben nicht gereicht, um diesen Effekt aufzuheben.
Raus aus der Uniformitätsfalle!
Es liegt im eigenen Interesse der Arbeitgeber, die immer gleichen Beförderungen aufzubrechen. Dafür sind ein tiefgreifendes Umdenken und eine Umstrukturierung der Abläufe nötig:
- Die Führungskräfte müssen sich vor Augen führen, dass sie unbewusst voreingenommen sind, und genau abzuwägen versuchen, was sympathische Regungen und was reelle Vorteile sind.
- Das Recruiting-Team, das die Vorauswahl trifft und Einladungen verschickt, sollte möglichst vielfältig und unterschiedlich aufgestellt sein.
- Bei den Gesprächen sollten mehrere möglichst verschiedene Leute aus unterschiedlichen Abteilungen anwesend sein, damit nicht der Eindruck einer Person überwiegt, die sich in dem Bewerber (oder der Bewerberin) wiedererkennt.
- Entscheidungen „aus dem Bauch heraus“ gehen oft auf positive Voreingenommenheit zurück, daher sollten die Entscheidungsprozesse wieder mehr versachlicht werden und sich an den Fähigkeiten und Fertigkeiten der Person orientieren.
- Wird eine Stelle im Unternehmen oder der Behörde frei, reicht es nicht, sie einfach wieder mit jemandem mit denselben Fähigkeiten zu besetzen: Eine Rekapitulation des Ist-Zustands der Abteilung und der Ziele ist notwendig, um herauszufinden, wer aktuell geeignet ist.
Kurz: Um das Team und gerade auch die Führungsetagen vielfältiger, innovativer und fortschrittlicher zu gestalten, muss das Vorgehen nach Schema F bei der Rekrutierung aufgebrochen und verändert werden.
Personalabteilungen sollten darauf geschult werden, ein breiteres Angebot an Bewerberinnen und Bewerbern auszuwählen.
Sind Führungskräfte dann von bestimmten Personen begeistert, sollten sie sich selbst nach dem Grund fragen und Rücksprache mit den anderen Gesprächsteilnehmenden halten: So finden sie heraus, ob sie sich nur selbst in der Person erkannt haben oder ob diese wirklich Mehrwert für die Arbeitsstelle bietet.
Hinweis: Es ist eine Gratwanderung – natürlich sollte eine gewisse Ähnlichkeit auch nicht zum Ausschluss aus dem Bewerbungsverfahren führen, falls die Person tatsächlich alles mitbringt, was in der aktuellen Situation notwendig ist!
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