Autorin: Désirée Verhaert

Die Besucher*innen des Sozialamts befinden sich mehrheitlich in einer finanziellen, psychischen und emotionalen Notlage – Das ist allgemein bekannt. Dass es den Beschäftigten hinter dem Schreibtisch in Hinblick auf psychische Belastungen oftmals nicht besser geht, ist jedoch weniger im öffentlichen Meinungsbild verankert.

Im Jahre 2002 machte Jürgen Schmitt, ehemaliger Leiter des Sozialamtes in Tempelhof-Schöneberg, Schlagzeilen mit der Verfassung einer „Überlastungsanzeige“ (1). Mit dieser schützte er seine Mitarbeitenden juristisch vor nicht beabsichtigten Fehlern, die durch Arbeitsüberlastung hervorgerufen werden. Der damals 59-Jährige machte damit auf die durch Personalnotstand hohe Arbeitsbelastung innerhalb seiner Sozialverwaltung aufmerksam. Von zehn Mitarbeitenden in der Abteilung Allgemeine Sozialhilfe seien zu dem Zeitpunkt des Schreibens sieben Sachbearbeiter*innen auf unbestimmte Zeit erkrankt.

Die aktuelle Studie von Prof. Dr. Matthias Döring und Nicolas Drathschmidt(2) gibt hierzu Antworten. Die Autoren befragten in ihrer Untersuchung im multimethodischen Forschungsdesign insgesamt 144 Beschäftigte aus vier Berliner Sozialverwaltungen.

Dieser Blogbeitrag gibt nachfolgend die Ergebnisse sowie deren Schlussfolgerungen dieser Untersuchung wieder.

Arbeitsbedingungen und Belastungsfaktoren

In Hinblick auf die Arbeitsbedingungen zeigt die wissenschaftliche Untersuchung, dass die befragten Sozialämter unter grundsätzlicher Unterbesetzung, Personalnot, Überalterung sowie Arbeitsausfällen durch Langzeiterkrankungen leiden. Hieraus resultieren hohe Arbeitsanforderungen und ein hoher Arbeitsumfang. Verschärft wird diese Situation durch die aktuell erhöhten Geflüchtetenzahlen, die die Fallzahlen erhöhen und aufgrund der Komplexität der Verfahren einen deutlichen Mehraufwand für die Sachbearbeiter*innen bedeuten.

Zudem stellt in Sozialverwaltungen die direkte Interaktion mit den Besucher*innen eine besondere Charakteristika dar. Die Begegnungen sind dabei zum Großteil stark emotional eingefärbt, da es von Kund*innenseite um existenzbetreffende Sachverhalte und Dienstleistungen geht. In Einzelfällen berichten die Befragten von verbaler und körperlicher Aggressivität ihnen gegenüber. Der Kontakt kann auch durch Sprachbarrieren erschwert werden.

Neben den Kund*innenkontakt stellt auch die Zusammenarbeit mit anderen Behörden (z.  B. Jobcentern) und anderen externen Akteuren besondere Ansprüche an die Beschäftigten. Diese Interaktion ist oft sehr zeitintensiv. Darüber hinaus gaben die befragten Mitarbeitenden in der Studie an, dass die räumliche und technische Ausstattung in weiten Teilen unzureichend ist. So seien die Räumlichkeiten der Ämter beispielsweise nicht auf den Kund*innenkontakt ausgerichtet. Lärm und Arbeitsunterbrechungen stehen für viele Beschäftigte an der Tagesordnung.

Subjektive Belastung der Beschäftigten in der Sozialverwaltung

Die Untersuchung von Prof. Dr. Matthias Döring und Nicolas Drathschmidt zeigt, dass das subjektive Stressniveau der Befragten individuell unterschiedlich ausfällt. Nicht jede wahrgenommene Belastung führt unmittelbar zu einer negativen Beeinträchtigung bei den Mitarbeitenden. Nichtsdestotrotz zeigt die Studie die eindeutige und bedrohliche Tendenz, dass sich vermehrt Beschäftigte ein stark erhöhtes und damit gesundheitsgefährdendes Stressniveau zuschreiben. Ein dauerhaftes Stressempfinden auf hohem Niveau erhöht die Auftretenswahrscheinlichkeit von negativen gesundheitlichen und psychischen Folgen.

Insgesamt bewerteten die Beschäftigten in den befragten Sozialämtern die Arbeitsanforderungen als sehr hoch. Insbesondere die steigende Arbeitsgeschwindigkeit und der Arbeitsumfang (z. B. durch die Vertretung einer/eines erkrankten Kolleg*in) werden dabei als deutliche Belastung wahrgenommen.

Als weitere Stressbelastungsfaktoren identifizieren die Autoren die herausfordernden Interaktionen mit den Kund*innen. In diesem Zusammenhang fanden die Autoren in ihrer Untersuchung vermehrt einen inneren Konflikt bei den Beschäftigten, der einen wesentlichen Stressfaktor und eine psychische Belastung darstellt. Die kognitive Dissonanz wird dadurch hervorgerufen, dass die Mitarbeitenden in Sozialverwaltungen durchweg hoch intrinsisch sowie prosozial motiviert sind und den Antragstellenden helfen möchten. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich die Beschäftigten in die emotionale Situation der Kund*innen hineinversetzen können. Doch nicht immer sind die Rahmenbedingungen (z. B. Gesetze oder Prozesse) so, dass die Mitarbeitenden ihrer persönlichen Einstellung, ihrem Fairnessgedanken und ihrer Motivation zufriedenstellend nachkommen können.

Darüber hinaus werden die unzureichenden technische sowie räumliche Ausstattung als stressgenerierend von den Mitarbeitenden eingestuft. Ferner beklagen die befragten Mitarbeitenden auch einen fehlenden Rückhalt bzw. eine mangelnde Anerkennung durch die Öffentlichkeit. Als belastend empfinden einige auch die allgemeinen Stigmatisierungen der Sozialverwaltungen.

Handlungsempfehlungen

Die Forschungsergebnisse legen nahe, das strategische Personalmanagement in den Sozialverwaltungen auszubauen: Fachkundiges Personal muss schnell eingestellt und/oder ausgebildet werden, um dem hohen Arbeitspensum als Folge des Personalmangels nachzukommen und die Beschäftigten in Sozialverwaltungen zu entlasten. Auch sollte ein Mentoring-Programm (z. B. beim Onboarding) etabliert werden, um den Wissenstransfer der erfahreneren Fachkräfte an Berufseinsteiger*innen sicherzustellen.

Zudem sollte der Arbeitsplatz mit moderner Technik ausgestattet werden und die räumlichen Gegebenheiten insbesondere im Sinne einer Lärmreduzierung und der Entstehung von Rückzugsorten für Mitarbeitende ausgebessert werden. Darüber hinaus fordern die Autoren die Optimierung des behördenübergreifenden Prozessgedankens und der Zusammenarbeit mit externen Akteur*innen. Auch kann eine Erhöhung der allgemeinen Wertschätzung der Arbeit durch Vorgesetzte und der Öffentlichkeit stressreduzierend auf die Beschäftigten wirken.

In Hinblick auf die psychologischen Anforderungen der Arbeit in Sozialämtern betonen die Autoren die zentrale Bedeutsamkeit von Supervision und Kommunikationstrainings (z. B. zum Konfliktmanagement). Dabei sollten die Beschäftigten in ihrer individuellen Emotionsregulierung gestärkt und über eine gezielte Kompetenzförderung zu einer nachhaltig erfolgreichen Strategie im Umgang mit herausfordernden Situationen befähigt werden. Auch eine bessere Betreuung durch Psycholog*innen bei (körperlichen) Angriffen stufen die Wissenschaftler als hilfreich ein. Die Autoren empfehlen nicht zuletzt den Ausbau des aktiven Gesundheitsmanagements der öffentlichen Verwaltungen sowie ein gesteigertes Angebot von Sportkursen als Maßnahme zur Verbesserung der Stressregulierung.

(1) Rekord-Krankenstand im Sozialamt: 70 Prozent fehlen. (2002, 7. Juni). BZ-Berlin. Abgerufen am 15. Juli 2022

(2) Döring, M., & Drathschmidt, N. (2022). Stress-Test Sozialamt. Psychische Belastungen in der Sozialverwaltung. Odense: Universität, Dänemark.


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