Verlassen Sie sich bei Personalentscheidungen häufig auf Ihr Bauchgefühl oder Ihre langjährige Menschenkenntnis, da Sie durch Ihre Berufserfahrung bereits über das nötige Fundament verfügen? Wenn ja, dann lohnt es sich Ihre Personalauswahlmethoden doch einmal unter die Lupe zu nehmen.
Welche Auswirkungen hat es eigentlich, wenn wir uns zu sehr auf die „Menschenkenntnis“ verlassen?
Menschen orientieren sich zur einfacheren Entscheidungsfindung häufig an bestimmten Stereotypen. Das bedeutet, dass wir basierend auf unseren subjektiven Erfahrungen eine bestimmte Vorstellung davon haben, wie ein geeigneter Bewerber auszusehen hat. Entspricht dieser nicht dem subjektiven Bild, wird der Kandidat kurzerhand aussortiert. Allerdings liegen der menschlichen Urteilsbildung grundsätzlich eine Reihe von systematischen Urteilsverzerrungen zugrunde. Beispielsweise neigen wir dazu, gutaussehende Menschen unbewusst besser zu beurteilen oder uns von anderen visuellen Eindrücken wie Haltung, Statur, Größe oder Blickkontakt bei der Einschätzung dominieren zu lassen (Stichwort Halo-Effekt). Derartige Verzerrungen (es gibt übrigens noch mehr als die erwähnten!) führen nicht zwangsläufig dazu, dass jede Personalauswahlentscheidung vollständig falsch ist. Sie erhöhen allerdings die Wahrscheinlichkeit für eine Über- oder Unterschätzung einzelner Bewerber oder ganzer Bewerbungsgruppen. Will man Fehleinschätzungen entgegensteuern, müssen Verantwortliche zunächst eine kritische Grundeinstellung gegenüber der eigenen Urteilsbildung einnehmen und sich von den Phantasien des allmächtigen Menschenkenners verabschieden. Um systematischen Fehlern der Urteilsbildung von vornherein wenig Platz für Entfaltung zu bieten, eignet sich hierfür eine Professionalisierung in validierten Auswahlmethoden. Diese reichen von der Sichtung der Bewerbungsunterlagen über den Einsatz von validen Fragebögen und Testverfahren bis hin zur professionellen Durchführung von Bewerbungsgesprächen.
Wenn wir die gängige Praxis der Personalauswahl näher betrachten, können wir bereits früh bei der Optimierung ansetzen. Kritisch wird es beispielsweise bereits bei der Sichtung der Bewerbungsunterlagen. Laut einer Umfrage von Professor Dr. Uwe Kanning [1] von der Universität Osnabrück, richten sich über 80 % der über 200 deutschen befragten Unternehmen bei der Beurteilung von Bewerbungsunterlagen nach Kriterien wie Tippfehlern, der Übersichtlichkeit des Lebenslaufes oder nach Lücken im Lebenslauf. Diese sagen letztendlich überhaupt nichts über den Berufserfolg aus und führen lediglich dazu, potenziell geeignete Kandidaten auszusortieren.
In Anbetracht des heutigen Fachkräftemangels sollten Sie sich dies wirklich nicht antun! Besser geeignet ist eine Orientierung an den bisherigen Tätigkeitsbeschreibungen und der Berufserfahrung, wobei hier die Vielseitigkeit der Berufserfahrung eine deutlich höhere Aussagekraft besitzt, als die Anzahl der Jahre an Berufserfahrung.
Über die Sichtung von Bewerbungsunterlagen hinaus, stellt das persönliche Bewerbungsgespräch nachwievor eine der gängigsten Auswahlformen in Deutschland dar und wird auch häufig als alleiniges Auswahlinstrument eingesetzt. Wenn Sie das persönliche Gespräch dazu nutzen, ausschließlich Fragen zu stellen, die in fast jedem Bewerbungsratgeber zu finden sind – beispielsweise wäre da die berühmte Frage nach den Stärken und Schwächen – wundern Sie sich bitte nicht, wenn alle Bewerber plötzlich von sich behaupten ungeduldig oder perfektionistisch zu sein… Darüber hinaus werden Fragen gerne mal von Bewerber zu Bewerber variiert, um ein wenig Abwechslung in die ganze Angelegenheit zu bringen. Auf dieser Grundlage lassen sich allerdings nur schwer sinnvolle Vergleiche zwischen den verschiedenen Kandidaten für die Entscheidungsfindung heranziehen.
Doch welche Methoden bieten im Sinne einer erfolgreichen Personalauswahl wirklich einen Mehrwert und sind tatsächlich in der Lage Berufserfolg in einem gewissen Rahmen vorherzusagen?
1. Intelligenztests
Tatsächlich weisen die kognitiven Fähigkeiten den größten Zusammenhang mit Berufserfolg auf. Dies trifft insbesondere auf kognitiv anspruchsvolle Berufe zu. Der Intelligenzquotient allein erklärt hier sogar bis zu 50 % der Leistungen im Beruf. Neben dem Einsatz von Intelligenztests in solchen Berufen, bietet sich ihre Nutzung auch für Stellen an, in denen sich Personen noch etwaige fachliche Kompetenzen aneignen müssen. Dies wäre beispielsweise für die Auswahl von Auszubildenden, Trainees oder Quereinsteigern relevant. Intelligenztests werden in Deutschland allerdings nur sehr selten im Rahmen von Personalauswahlentscheidungen eingesetzt – konkret nur in 0.8 % der Fälle [2]. Wenn überhaupt, dann werden diese tatsächlich auch für die Auswahl von Auszubildenden und Trainees eingesetzt, seltener jedoch im Führungsbereich. Nur zum Vergleich: In den USA wird bei der Auswahl von Top-Management Positionen in 50 % aller Fälle ein Intelligenztest als Teil des Auswahlprozesses eingesetzt. In Deutschland finden sich hingegen für solche Positionen teilweise noch graphologische Testverfahren wieder, die sogar noch in ihrer Häufigkeit eher anzutreffen sind als Intelligenztests, jedoch keinerlei Aussagefähigkeit besitzen und bereits längst überholt sind. Neben der geringen Akzeptanz gilt zu beachten, dass die alleinige Ausführung eines Intelligenztestes nicht empfehlenswert ist, da soziale Kompetenzen oder situationsadäquates Verhalten (z. B. Umgang mit Kunden) dabei außer Acht bleiben. Diese Kompetenzen sollten zusätzlich einbezogen werden.
2. Strukturierte Interviews
Über die Intelligenz hinaus weisen insbesondere strukturierte Interviews eine zusätzliche prognostische Validität in Zusammenhang mit Berufserfolg auf. Hochstrukturierte Interviews bieten dabei im direkten Vergleich zu unstrukturierten Interviews eine achtfach höhere Aussagekraft [3]. Im Idealfall ist das strukturierte Interview auf ein für die spezifische Position sorgfältig erstelltes Anforderungsprofil abgestimmt und umfasst einen im Vorfeld erarbeiteten Fragenkatalog. Die Fragen werden im Rahmen des persönlichen Gesprächs jedem Bewerber gleichermaßen gestellt, um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Die Validität dieses Instruments wird zusätzlich erhöht, wenn darüber hinaus Kriterien definiert werden, die als Orientierung für die Bewertung der Antworten dienen und die Vergleichbarkeit zwischen den Bewerbern zusätzlich erleichtern. Tatsächlich geben rund 60 % der Verantwortlichen in deutschen Unternehmen an, Interviewleitfäden zu benutzen. [4] Wenn man jedoch genauer definiert, was sich dahinter verbirgt, handelt es sich zum größten Teil um vorab definierte Themenschwerpunkte. Lediglich 4 % der Unternehmen nutzen einen verbindlichen Fragenkatalog inkl. einer verbindlichen Definition von Punktwerten zur Einstufung der Antworten.
3. Persönlichkeitstests
Wissenschaftlich validierte Persönlichkeitsfragebögen eignen sich darüber hinaus als ergänzendes Verfahren um Berufserfolg vorherzusagen. Diese sind hinsichtlich des Kosten- und Zeitaufwandes hoch ökonomisch und liefern im Rahmen einer Selbsteinschätzung des Bewerbers ein differenziertes Persönlichkeitsprofil. Dieses hilft Besonderheiten, Widersprüche und Auffälligkeiten im Selbstbild systematisch zu erkennen und bietet Anknüpfungspunkte für eine tiefergehende Exploration im persönlichen Gespräch. Zu beachten gilt beim Einsatz von Persönlichkeitsfragebögen stets, dass es sich um eine Selbsteinschätzung des Bewerbers handelt, welche sowohl die Möglichkeit einer Über- als auch Unterschätzung persönlicher Kompetenzen mit sich bringt und im Abgleich zur Fremdwahrnehmung Diskrepanzen aufweisen kann. Ein empfehlenswertes Verfahren stellt beispielsweise das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP) dar und lässt darüber hinaus den Einbezug einer Fremdeinschätzung zum systematischen Abgleich von Selbst- und Fremdbild zu. Lassen Sie hingegen lieber die Finger von überholten Testverfahren wie z. B. den Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI) oder den DISG, die leider heute immer noch im Einsatz sehr beliebt sind, allerdings nicht den heutigen wissenschaftlichen Standards entsprechen.
Neben den bereits erwähnten Instrumenten eignen sich darüber hinaus auch Arbeitsproben sowie die Durchführung von methodisch guten Assessment Center Verfahren. Weniger hilfreiche Indikatoren für Berufserfolg hingegen stellen, teilweise entgegen weit verbreiteter Meinung, die schulische Gesamtnote, das Alter oder die Durchführung von unstrukturierten Bewerbungsgesprächen dar. Die Vorbereitung strukturierter Interviews erfordert zwar einen gewissen zusätzlichen Aufwand im Vorfeld, allerdings profitieren Sie im Nachgang langfristig von besseren Auswahlentscheidungen. Darüber hinaus stellen strukturierte Auswahlgespräch die Stellschraube dar, an der Sie am ehesten drehen können, da mit einem Einsatz von Intelligenz- und Persönlichkeitsfragebögen auch zusätzliche Kosten einhergehen, wodurch solche Verfahren ggf. nicht so rasch einzuführen sind. Falls Sie wiederum bereits einige der beschriebenen Instrumente verwenden, bietet es sich insbesondere bei Persönlichkeitsfragebögen an, diese auf ihre Testgütekriterien hin zu überprüfen und ggf. durch aktuellere Verfahren zu ersetzten.
Fazit
Verlassen Sie sich bei Personalauswahlentscheidungen nicht allein auf Ihr Baugefühl. Setzen Sie stattdessen auf valide Auswahlmethoden, die Sie bei der richtigen Auswahlwahlentscheidung unterstützen können. Orientieren Sie sich bei der Sichtung der Bewerbungsunterlagen an der Berufserfahrung und den Tätigkeitsbeschreibungen, anstatt sich in irrelevanten Details zu verlieren. Setzen Sie darüber hinaus auf strukturierte Auswahl-Interviews, die eine transparente Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Bewerbern ermöglichen. Sie erfordern zwar etwas Vorbereitung, sind jedoch leicht umsetzbar und liefern einen höheren Nutzen als der Aufwand mit sich bringt. Zusätzlich bieten validierte Persönlichkeitstests eine Möglichkeit Berufserfolg zu prognostizieren und können als Grundlage zur tiefergehenden Exploration im Gespräch dienen. Sie stellen zudem eine ökonomische Ergänzung in Ihrem Auswahlverfahren dar. Intelligenztests stellen vor allen Dingen in kognitiv anspruchsvollen Berufen den größten Prädiktor für Berufserfolg dar, finden hierzulande jedoch wenig Akzeptanz und gehen mit zusätzlichem Aufwand einher. Weiterhin sollten sie mit anderen Auswahlmethoden kombiniert werden um auch Soft Skills zu erfassen.
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[1] Uwe Kanning, Über die Sichtung von Bewerbungsunterlagen in der Praxis der Personalauswahl, in Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie 60/Nr. 1 (2016).
[2] Heinz Schuler, Benedikt Hell, Sabrina Trapmann, Hagen Schaar, Ilkay Boramir, Die Nutzung psychologischer Verfahren der externen Personalauswahl in deutschen Unternehmen ein Vergleich über 20 Jahre, in Zeitschrift für Personalpsychologie, 6 / Nr.2 (2007), S. 60-70.
[3] Micheal A. Mcdaniel, Deborah Whetzel, Frank L. Schmidt, Steven D. Maurer, The validity of employment interviews: A comprehensive review and meta-analysis, in The Journal of Applied Psychology, 79 (1994) S. 599-616.
[4] Uwe Kanning, Einstellungsinterviews in der Praxis, in Report Psychologie, 11 (2016) S. 442-450.
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