Als Führungskraft haben Sie den ganzen Tag über viel zu tun: Sie sorgen dafür, dass das Team die Vorgabe der Chefetage erfüllt, organisieren die Arbeitsabläufe, teilen Aufgaben zu und führen Meetings. Würde das Team ganz normal funktionieren, liefe alles reibungslos. Irgendetwas Unvorhergesehenes passiert aber dauernd. Erwischen Sie sich immer wieder dabei, wie Ansichten oder Befindlichkeiten aus dem Team Sie heillos überraschen, könnte es helfen, wenn Sie den Perspektivwechsel lernen.
Darum ist der Perspektivwechsel wichtig
Viele Menschen, die in einer Führungsposition arbeiten, haben von Anfang an darauf hingewirkt: Sie haben das entsprechende Studium absolviert, Kontakte geknüpft und schließlich eine leitende Stelle in einer Abteilung bekommen, in der sie selbst nie tätig gewesen sind. Dadurch sind sie zunächst im Nachteil jenen gegenüber, die innerhalb des Unternehmens oder der Behörde aufgestiegen sind und das Team von innen heraus kennen.
Doch auch diese verstehen manchmal nicht, woher die Anwandlungen der Kolleginnen und Kollegen kommen: Dieses Verständnis hängt davon ab, wie gut die Führungskraft sich in die Mitarbeitenden hineinversetzen kann. Es ist die oft als „Soft Skill“ geforderte Empathie, die hier hilft – aber nicht allein: Führungskräfte brauchen Informationen über ihre Mitarbeitenden, um ihre Reaktionen korrekt antizipieren und den richtigen Leuten die passenden Vorschläge machen zu können. Einmal mehr ist Kommunikation das A und O.
Beispiele für einen notwendigen Perspektivwechsel
Im Arbeitsalltag können Situationen auftreten, in denen Sie überrascht sind, weil Ihre Mitarbeitenden auf eine bestimmte Weise reagieren. Wir stellen einige Beispiele vor.
Privatleben vs. Karriere
Sie sind begeistert von der guten Arbeit eines Mitarbeiters und bieten ihm eine Stelle als Teamleiter an. Er ist freudig überrascht, lehnt dann aber ab, was ihm offenkundig schwerfällt. Aktuell arbeitet er 80 Prozent, für die leitende Stelle müsste er in Vollzeit arbeiten. Er hat ein Kind im Kita-Alter und mit seiner Frau vereinbart, dass beide ihre Stunden etwas reduzieren, um zu gleichen Teilen die Care-Arbeit übernehmen zu können.
Auch wenn Sie angenommen hätten, dass das Paar unter diesen Umständen der Veränderung zustimmen würde, müssen Sie die Prioritätensetzung akzeptieren. Nehmen Sie die Position des Mitarbeiters ein, sehen Sie, dass 100 Prozent nicht möglich sind. Entsprechend müssen Sie kreativ werden, wenn Sie das Potenzial des Mannes dennoch ausschöpfen wollen: Gibt es vielleicht die Möglichkeit, dass er sich im Rahmen von Job-Sharing die Aufgaben mit einer anderen Person teilt?
Zielvorgaben vs. Realität
Sie bekommen von oben eine neue Zielvorgabe – die Produktion soll um fünf Prozent gesteigert werden. Zwar sind Sie sich schon ziemlich sicher, dass Ihr Team nicht begeistert sein wird, mit der Heftigkeit der Reaktion haben Sie aber nicht gerechnet. Im Gespräch mit denjenigen, die sich am vehementesten gegen die neuen Ziele verwehrt haben, erfahren Sie Dinge, die Ihnen so noch nicht bekannt waren:
- Die sporadische Abwesenheit eines der Mitarbeiter ist auf Verschleißerscheinungen zurückzuführen – er wird nicht schneller und härter arbeiten können.
- Auch andere führen körperliche Beeinträchtigungen an, von denen sie bislang nichts erzählt haben. Der Grund dafür ist die Befürchtung, für den Job nicht mehr zu taugen.
- Die kleinen Aussetzer des Servers kommen häufiger vor, als Sie selbst mitbekommen haben – das Team weiß, wie es ihn innerhalb kurzer Zeit wieder zum Laufen kriegt, ohne Ihnen Bescheid zu sagen. Die Arbeit ist dadurch aber schon ins Hintertreffen geraten.
Sie erkennen, dass Sie die Vorgaben in der aktuellen Situation nicht erfüllen können. Denken Sie sich ins Team hinein, werden Sie feststellen, dass sich niemand für das Unternehmen kaputtmachen möchte. Gleichzeitig spüren Sie die Angst um die Jobs. Die nicht reibungslos funktionierende IT-Infrastruktur tut ein Übriges, um die Stimmung zu verschlechtern.
Statt die Arbeit beschleunigen zu können, ist an dieser Stelle Rücksprache mit der Chefetage nötig. Weisen Sie sie darauf hin, dass das betriebliche Gesundheitsmanagement gefordert ist und der Server zumindest eine gründliche Wartung benötigt. Die Alternative könnte sonst bald eine Kündigungswelle sein.
Konflikte in der Abteilung
Ihre Abteilung erhält einen neuen Auftrag. Statt dass sich die andere Führungskraft Ihrem durchaus vernünftigen Vorschlag anschließt und Sie sich gemeinsam an die Organisation machen können, stellt sie sich quer. An ihrem Gegenvorschlag können Sie nichts Vernünftiges erkennen. Sie haben das Gefühl, dass die Person das Projekt ausbremsen möchte, und sind wütend.
Setzen Sie sich mit der anderen Führungskraft zusammen und lassen Sie sich die präferierte Vorgehensweise genau erklären. Erfragen Sie die Gründe dafür und bitten Sie Ihr Gegenüber um eine Erklärung, weshalb es Ihre Pläne für nicht optimal hält. In einem konstruktiven Gespräch zeigt sich oft, dass jemand etwas falsch verstanden hat. Noch häufiger handelt es sich aber um eine unterschiedliche Prioritätensetzung, die bei Beleuchtung der Hintergründe auch für die jeweils andere Person verständlich wird. Versetzen Sie sich in die Position Ihres Gegenübers hinein. Finden Sie gemeinsam einen Kompromiss, falls keiner der Lösungsansätze einen Denkfehler enthält, der ihn undurchführbar macht.
Tipp: Für den Perspektivwechsel sind Höflichkeit und Respekt die Grundvoraussetzungen! Reagieren Sie auch bei der größten Überraschung nicht harsch, sondern bitten Sie höflich darum, die Gründe für die Haltung zu erfahren. Damit ist viel gewonnen.
Perspektivwechsel ist erlernbar
Fällt es Ihnen schwer, von sich aus die Perspektive Ihrer Mitarbeitenden einzunehmen, können Sie an einer entsprechenden Schulung oder einem Coaching teilnehmen. Wenn Sie die Technik beherrschen, können Sie müheloser mit Überraschungen umzugehen: Sie halten sich nicht mit Hadern oder Groll auf, sondern reagieren flexibler und kreativer. Sie finden leichter Lösungen, die die Ansichten aller Beteiligten berücksichtigen. Das spürt auch Ihr Team: Dadurch, dass Sie mehr auf die Mitarbeitenden zugehen und ihre Standpunkte einnehmen können, fühlen sie sich bei Ihnen besser aufgehoben.
Das Fundament für den Perspektivwechsel ist Kommunikation. Es hilft, wenn Sie Ihre Mitarbeitenden kennen bzw. sich Mühe geben, sie kennenzulernen. Erinnern Sie sich immer daran, dass da ein Mensch am Arbeitsplatz sitzt, mit eigenen Sorgen und Träumen.
Manchmal kann man gar nicht alle Teammitglieder näher kennenlernen. Das ist auch nicht nötig. Wichtig ist lediglich, dass sich herumspricht, dass man mit Ihnen reden kann. Haben Sie diesen Ruf an Ihrer Arbeitsstelle, vertrauen sich Ihnen auch verschlossene Mitarbeitende im Bedarfsfall an. Mehr brauchen Sie nicht – sobald Sie erfahren, worum es eigentlich geht, können Sie einen Perspektivwechsel vornehmen und empathisch reagieren.
Illustration: Hessischer Rundfunk
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