Autor: Wolfgang Nett, zfm-Trainer und Coach

In der Praxis wird immer wieder festgestellt, dass viele der neu eingestellten Mitarbeitenden innerhalb des ersten Jahres wieder kündigen. Neben den hohen materiellen Kosten (Neu-Suche und -auswahl etc.) führt dies auch zu Unruhe, Unzufriedenheit und möglicherweise zwischenmenschlichen Störungen innerhalb der Organisation. „Nicht Einhalten von Vereinbarungen“ oder “nicht erfüllte Erwartungen“ werden häufig genannt, wenn nach kurzer Zeit Mitarbeitende das Unternehmen wieder verlassen. Oft werden auch „zu hohe Arbeitsbelastungen“ angeführt, wenn Mitarbeitende dem Unternehmen den Rücken kehren. Wenn man den Gründen und Motiven des frühen Verlassens auf den Grund geht, zeigt sich häufig, dass eine fehlende, mangelhafte oder unstrukturierte Einarbeitung der wirkliche Grund für das schnelle „Gehen“ ist.

Woran liegt das? Wenn der Arbeitsvertrag unterschrieben ist, werden neue Mitarbeitende oftmals sich selbst überlassen und damit dem „Schicksal“ preisgegeben. Selbst am ersten Arbeitstag verhalten sich manche Unternehmen und Führungskräfte so, als wenn nichts Besonderes stattfindet. Dabei stellen gerade der Einstieg, von der Vertragsunterzeichnung über den ersten Arbeitstag und die erste Zeit in einem neuen Unternehmen für neue Mitarbeitende eine schwierige Situation dar und das in sozialer, psychologischer, ggf. fachlicher aber auf jeden Fall in persönlicher Hinsicht dar.

Ein strukturiertes und systematisches Onboarding ist die wesentliche Voraussetzung dafür, dass sich neue Mitarbeitende schnell mit dem Unternehmen, der Kultur und den Aufgaben identifizieren. Nur so kann die Basis für eine langfristige persönliche Bindung an das Unternehmen hergestellt werden. Das Unternehmen, die Führungskräfte und die Kolleginnen und Kollegen können sehr viel dazu beitragen, dass der Einstieg für die „Neuen“ gelingt und „angenehm“ gestaltet werden kann.

Schon im Einstellungsgespräch sollte die neue Mitarbeiterin bzw. der neue Mitarbeiter ehrlich und umfassend über das Unternehmen, die Strategie, die Kultur, die Aufgaben, die Probleme und Entwicklungsmöglichkeiten informiert werden. Und das im Sinne einer fairen Partnerschaft. Offenheit und Transparenz bilden hier das Fundament für eine lange Zusammenarbeit.

Damit wird sichergestellt, dass neue Mitarbeitende nicht mit unrealistischen Erwartungen beim neuen Unternehmen anfangen. Alles positiv darzustellen suggeriert falsche Erwartungen, die nicht zuletzt in Unzufriedenheit, Enttäuschung und Frustration enden können.

Der oft lange Zeitraum zwischen Vertragsunterzeichnung und Erstarbeitstag sollte gut genutzt werden. Ideal ist es, Arbeitsplatzbesichtigungen, Gespräche mit zukünftigen Kolleginnen und Kollegen sowie Führungskräften oder ggf. „Schnuppertage“ zu organisieren. Hinzukommen der regelmäßige (alle 14-Tage) Kontakt, per Telefon, Mail oder mit Hilfe der sozialen Medien. Auch können aktuelle Broschüren, Firmen- und Dienstleistungsinformationen zugesandt werden.

Es gibt Unternehmen die bei der Wohnungssuche unterstützen oder weitere Dienstleistungen beim Umzug anbieten. Hintergrund bei allem ist die frühzeitige emotionale Bindung an den neuen Arbeitgeber und damit der Abbau von möglichen Unsicherheiten oder Hemmungen. Aber gerade hier ist Sensibilität und Fingerspitzengefühl gefragt; es gilt, niemandem etwas „aufzudrängen“. Gut gemeint und schlecht gemacht liegen hier sicherlich nahe beieinander, aber besser etwas tun als gar nichts zu unternehmen.

Die Führungskräfte sollten darauf achten, dass die Mitarbeitenden über neue Teammitglieder informiert sind und dass es auch ihre Aufgabe ist, die “Neuen” zu integrieren. Regelmäßige und intensive Gespräche vom ersten Tag an mit der bzw. dem Vorgesetzten sind ein Muss in der Zusammenarbeit. Empfohlen wird, in der ersten Woche täglich ein Gespräch zu führen und ab der zweiten Woche jeden zweiten oder dritten Tag. Neue Mitarbeitende sollten über alle wesentlichen Unternehmens- und Abteilungsspezifika informiert werden, gerade auch über die Themen und Inhalte, die nicht in Broschüren oder sonstigen Aufgabenstellungen und Arbeitsanweisungen enthalten sind. Es ist bedeutsam die im Unternehmen geltenden ungeschriebenen Gesetze und Regeln kennenzulernen. Dies erleichtert das Umgehen miteinander.

Vertrauen und Offenheit ergeben sich gerade aus den Informationen, die für jemand „Neues“ nicht so einfach greifbar und erklärbar sind. Dies sind z. B. Informationen über Urlaubspläne, Zuständigkeiten und die vielen kleinen Mosaiksteine, aus denen sich neue Mitarbeitende  ihr eigenes „Bild“ fertigen.

Ein vorbereiteter Arbeitsplatz und ein erster Rundgang durch die Abteilung bzw. Organisation sollten selbstverständlich sein, damit auch der Kollegenkreis die oder den „Neuen“ kennenlernen können.  Dazu gehört auch eine kleine Ansprache seitens der Führungskraft und eine gegenseitige Vorstellung aller Beteiligter, damit verhindert wird, dass man sich durch Zufall in den nächsten Wochen begegnet oder nicht begegnet.

Eine erste überschaubare und sinnvolle Aufgabe zeigen neuen Mitarbeitenden darüber hinaus, dass man sie erwartet, sie braucht und sie eine sinnvolle Ergänzung zum Team sind. Wie häufig ist zu hören, dass man „ins kalte Wasser geworfen wurde“ oder dass man sich als „Neue/r“ vorkam, wie das bekannte „fünfte Rad am Wagen“.

Am ersten Tag sollen neue Mitarbeitende bereits Informationen über das soziale Umfeld erhalten, in dem sie tätig sein werden; Weitere Informationen betreffen z. B. die Räumlichkeiten, Arbeitsmittel, betriebliche Einrichtungen etc.

Hier ist die direkte Führungskraft aufgefordert, Präsenz zu zeigen und dieses „Willkommen“ nicht an einzelne Mitarbeitende zu delegieren.

Elementar ist, dass die bzw. der Vorgesetzte regelmäßig Gespräche mit den neuen Mitarbeitenden führt, um an deren Erfahrungen, Wahrnehmungen und Eindrücken während dieser ersten Phase der Zusammenarbeit teilhaben zu können. Dabei erweist es sich oft als problematisch, wenn die Führungskraft den neuen Mitarbeitenden sagt „wenn etwas ist, kommen Sie bitte auf mich zu“. Integration ist Führungsaufgabe und damit von der Führungskraft aktiv zu gestalten; von der bzw. vom Vorgesetzten müssen die Impulse zum kommunikativen Austausch kommen, es darf keine reine „Bringschuld“ durch den neuen Mitarbeitenden sein.

So können einerseits Missverständnisse und Unstimmigkeiten thematisiert und ausgeräumt werden. Hier kommt es wesentlich darauf an, neue Mitarbeitende ernst zu nehmen, ihre Wahrnehmungen, Eindrücke oder Wünsche nicht herunterzuspielen oder zu bagatellisieren. Andererseits erhält auch die Führungskraft wichtige Informationen, Anregungen oder Ideen von einer noch nicht „betriebsblinden“ Person; der neue Blick von „außen“ kann hier von großer Bedeutung sein. Und zwar was Abläufe, Prozesse und Vorgehensweisen betrifft, aber genauso auch Themen aus dem Miteinander in Form von Stimmungen und Tendenzen.

Einige Unternehmen haben sehr gute Erfahrungen mit einer festen Ansprechperson aus dem Kollegenkreis gemacht, die als „Pate“ die Integration in das neue Umfeld fördert. Aber Vorsicht: die direkte Führungskraft darf sich durch diese Person nicht „ersetzen“ lassen.

Aus Erfahrung heraus, hat das Onboarding einen starken Einfluss auf die spätere Leistungsmotivation und Zufriedenheit der neuen Mitarbeitenden. Um eine gewisse Sicherheit darin zu erhalten, was bei der Integration neuer Mitarbeitenden notwendig oder wünschenswert ist, sollte man sich selber als Führungskraft fragen, was einem selber helfen würde, sich zu integrieren; aber auch hier sollten nicht die eigenen Erwartungen das „Maß aller Dinge sein“. Empfehlenswert ist es, die Mitarbeitenden einmal zu fragen, die in den zurückliegenden Jahren neu in das Unternehmen oder Team gekommen sind: was ihnen geholfen hat, sich zu integrieren, aber auch was sie gestört hat, oder was sie sich gewünscht hätten.

„Psychologischer Vertrag“ als Begriff ist geeignet, die Beziehung zu erfassen, die entscheidend dafür ist, inwieweit neue Mitarbeitende ihr Engagement weiterentwickeln können und loyal dem Unternehmen gegenüber auftreten können. Diese Beziehung definiert, in welchem Maße die Erwartungen der neuen Mitarbeitenden gegenüber dem Unternehmen und die Bereitschaft, sich mit ihren Leistungen einzubringen, mit den Erwartungen des Unternehmens übereinstimmen. Meistens wird dieser Vertrag nur einseitig in den „Köpfen“ der beteiligten Personen hinterlegt, es besteht aber auch die Möglichkeit diesen in bilateraler Form auszusprechen, als gemeinsame Vereinbarung. So werden gegenseitige Erwartungen und eventuelle Missverständnisse angesprochen und geklärt.

Ein strukturierter Onboardingprozess, wie es für Auszubildende und Trainees üblich ist, ist auch bei neuen Mitarbeitenden in den ersten Tagen und Wochen eine große Hilfe. Er hilft die Zeit und Aufgaben sinnvoll zu strukturieren und die wesentlichsten Informationen und Tipps bereitzustellen. Idealerweise erstellt jedes Team einen eigenen Prozess. Wichtig ist, neben den fachlichen Aspekten auch die sozialen Aspekte zu berücksichtigen. Wenn der Onboardingprozess im Team erstellt wird, dann kann jede/r Einzelne Anregungen und ihren/seine Wissensschatz mit einbringen. Schließlich wurde jede/r auch einmal eingearbeitet und hat dabei ihre/seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht.

Jede/r, die/der eine neue Stelle annimmt, macht das in der Regel mit der Absicht und dem festen Willen, das Beste zu geben. Für die Führungskraft bedeutet dies, das Engagement der neuen Mitarbeitenden in die richtigen Bahnen zu lenken. Schon frühzeitig während der Einarbeitungszeit gibt es Erfolgskontrollen, was sowohl für die neuen Mitarbeitenden als auch für die/den Vorgesetzte/n wichtig ist. Erfolgskontrollen ergänzen das Formulieren von Leistungserwartungen oder das Vereinbaren von Zielen. Auch die neuen Mitarbeitenden haben den unbedingten Anspruch darauf, dass die/der Vorgesetzte ihnen sagt, was sie/er leistungsmäßig erwartet. Diese Ziele müssen so beschaffen sein, dass ihre Erreichung die „Neuen“ weder unter- noch überfordert. Dazu gehört auch die regelmäßige Rückmeldung im Sinne von Anerkennung und Kritik. Die Führungskraft sollte darüber hinaus dauernde Gesprächsbereitschaft signalisieren.

Fazit: Strukturiertes Onboarding ist das A und O. Wenn Sie sich Zeit für die Einarbeitung neuer Mitarbeitenden nehmen, dann profitieren Sie langfristig von Mitarbeitenden, die in der Lage sind, eigenständig hochwertige Arbeitsergebnisse abzuliefern. Die neuen Mitarbeitenden fühlen sich im Unternehmen wohl, handeln engagiert und motiviert und tragen zu einem guten Arbeitsklima bei. Das Onboarding muss man als Investition in die Zukunft verstehen, die letztlich allen Beteiligten nützt.


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