Millennials steigen ins Management auf – und bringen einen neuen Stil mit.

Gast-Autor: Athanasios Titonis, Chief Executive Officer Mactan-Cebu International Airport
Athanasios Titonis hat seine berufliche Laufbahn bei einer Fluggesellschaft begonnen und war dort von Beginn an für ca. 25 Mitarbeitende verantwortlich. Es folgten Stationen im Management des Flughafens Köln/Bonn, darunter sieben Jahre als Chief Operating Officer.

Digital versiert, feedbackorientiert und selbstbewusst – das sind die Kennzeichen einer neuen Generation von Chefs und Chefinnen. Was die eigene Karriere angeht, hat sie andere Vorstellungen als ihre Vorgänger. Das zwingt Personalentwickler zum Umdenken.

Die Nachwuchskraft präsentiert sich im Bewerbungsgespräch extrem selbstbewusst: Ruhig zählt die 31-Jährige auf, was sie von ihrem künftigen Arbeitgeber erwartet: flexible Arbeitszeiten mit Homeoffice-Option, garantierte Aufstiegsperspektiven sowie finanzielle Unterstützung für ein berufsbegleitendes MBA-Studium. Und zwischen den Zeilen lässt die Potenzialkandidatin klar durchblicken: Wenn ihr Gegenüber all das nicht bietet, tut es ein anderer Arbeitgeber.

Solche Gespräche erleben Recruiter immer häufiger. Sie sind ein Indiz dafür, dass in den Organisationen gerade ein Wachwechsel stattfindet: Die Millennials (zwischen 1980 und der Jahrtausendwende geboren) rücken in Führungspositionen auf. Bisher trat diese auch als Generation Y bekannte Altersgruppe vor allem als Einsteiger in Erscheinung, jetzt greift sie zunehmend nach der Abteilungs- oder Bereichsleitung. Studien belegen den Wachwechsel: In jedem zweiten Betrieb ist es mittlerweile üblich, dass Mitarbeitende aus den Jahrgängen 1981 bis 1996 ältere Kollegen führen, hat eine Untersuchung der US-Personalberatung Korn Ferry ergeben. Und diese Young Leaders pflegen einen ganz neuen Stil: digital, feedbackorientiert – und selbstbewusst.

Bitte nicht chefmäßig

Rein optisch fallen die neuen Chefs und Chefinnen interessanterweise vor allem dadurch auf, dass sie weniger auffallen. Selbst wer oben angekommen ist, trägt am liebsten das gleiche Outfit wie die Mannschaft – oft Jeans, Sweatshirt und Hemden (ohne Krawatte!). Wenn die junge Geschäftsführerin mit ihrem Team im Betriebsrestaurant sitzt, könnte ein Außenstehender anhand der Kleidung nicht erkennen, wer hier das Sagen hat. Das hat durchaus Methode, denn die Millennials wollen Chef sein, ohne chefmäßig rüberzukommen. Auf die alten Insignien des Erfolges verzichten viele gerne: Nur wenige streben noch nach dem eigenen Eckbüro mit möglichst vielen Fenstern, man setzt sich lieber zur Mannschaft ins Großraumbüro. Viele verzichten auf bedeutend klingende Titel und den eigenen Parkplatz.

Und auch sprachlich wird ein egalitärer Stil bevorzugt: Man duzt sich und vermeidet alte, nach Hierarchie klingende Wörter wie „Untergebene“.

Der heutige Kleidungs- und Sprachstil ist natürlich nur Symptom einer größeren Veränderung. Die neue Generation gefällt sich nicht mehr in der Rolle des Leitwolfs oder der Leitwölfin, sondern vertraut lieber dem Rudel. Wenn ein Millennial das Ruder übernimmt, wird deshalb oft von Top-down auf Bottom-up umgeschaltet: Man schafft hierarchische Strukturen ab und lässt mehr von den Mitarbeitenden entscheiden, die nah am Kunden sind. Selbststeuerung heißt das Ideal vieler Millennial-Führungskräfte.

Süchtig nach Feedback – aber vorsichtig mit dem Telefonhörer

Mit den Millennials zieht die erste Generation in die Teppichetage, die eine Welt ohne Internet praktisch nicht mehr kennengelernt hat. Sie ist mit Chatprogrammen und sozialen Medien aufgewachsen, wurde mit MySpace, Studi VZ und Facebook sozialisiert. Deshalb bevorzugen die Jungen auch im Büro digitale Werkzeuge: Online-Messaging ist für sie die gebräuchlichste Kommunikationsform, Emojis gehören für sie selbstverständlich auch in die Business-Kommunikation. Ein eher angespanntes Verhältnis hat der Führungsnachwuchs dagegen zum Telefon. Den Hörer ergreift man nur ungern, manch ein neuer Chef leidet regelrecht an einer „Telefon-Allergie“ – ganz einfach, weil die Routine im Umgang mit dem Medium fehlt.

Wenn es um einen Wert geht, der für Millennials über allem steht, dann ist es das Feedback. Sie wollen immer genau wissen, wo sie stehen, und zögern gleichzeitig nicht, den Menschen in ihrer Umgebung Rückmeldungen zu geben. Das alte Chef-Verhalten – einmal im Jahr ein knappes Lob verteilen – gilt unter Millennials als völlig überkommen.

Feedback ist für den Führungsnachwuchs allerdings kein Selbstzweck: Man erwartet, dass alle im Team Rückmeldungsrunden nutzen, um etwas zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Dabei darf ruhig Kritik geäußert werden, das Klischee von der Kuschel-Generation stimmt nicht. Millennials sind zudem stark auf das Ergebnis fokussiert. Sie interessiert im Zweifel nicht, wie viel Arbeit eine Sache gemacht hat, sondern was am Schluss rausgekommen ist.

Außerdem hängen sie dem Ideal der Meritokratie an, also der Idee, dass der Rang eines Menschen allein von dessen Leistung abhängen sollte – und nicht von der Länge der Betriebszugehörigkeit.

„Karriere“ klingt nicht mehr für alle gut

Ironischerweise sind viele Millennials quasi Führungskräfte wider Willen: Sie wollen überhaupt nicht aufsteigen, allein das Wort „Karriere“ hat in ihren Ohren einen schlechten Klang. Der Grund dafür findet sich in ihrer Biografie: Die Kinder der Neunziger haben bei ihren Eltern miterlebt, was Führungsverantwortung bedeutet und wie schnell Karrieren zu Ende sein können. Aus dieser Erfahrung heraus entscheiden sich viele, einen anderen Weg zu gehen. Beruflicher Aufstieg ist ihnen nicht mehr so wichtig wie ihren Eltern. Dass Karriere generell nicht mehr als automatisches Ziel der Erwerbstätigkeit angesehen wird, beweisen etliche Studien. Als Uni-Absolventen unlängst gefragt wurden „Was ist ausschlaggebend bei der Entscheidung für einen Arbeitgeber?“, kamen Karrieremöglichkeiten erst auf Platz drei; kollegiale Arbeitsatmosphäre und Work-Life-Balance waren den jungen Befragten (Durchschnittsalter: 26) wichtiger.

Daraus ergibt sich eine völlig neue Aufgabe für Personalverantwortliche: Sie müssen Mitarbeitende entwickeln, die eigentlich nicht entwickelt werden wollen, zumindest nicht immer zu einem klassischen Manager. Für Millennials muss die Laufbahn etwa nicht grundsätzlich strikt nach oben gehen, sondern kann auch mal eine Seitwärtsphase einlegen. Zwei Jahre lang aus der Karrierespur auszuscheren und wieder als Sachbearbeiter zu arbeiten, um Eltern zu pflegen oder Kinder zu betreuen, ist für sie kein Problem. Und vom Arbeitgeber wird erwartet, dass er diese Stop-and-Go-Karriere akzeptiert und unterstützt. Das erfordert ein Umdenken der ganzen Organisation – auch seitens der älteren Führungskräfte.

„Ich habe ein Problem und will die Lösung jetzt“

Auf eine Eigenschaft der Millennial-Manager müssen sich Organisationen auf jeden Fall gefasst machen: Ungeduld. Es ist kein Klischee, dass die neue Generation eine kurze Aufmerksamkeitsspanne hat. Nicht umsonst hat sie die Abkürzung „tl;dr“ erfunden. Sie steht für „too long, didn’t read“ – zu lang, hab’s nicht gelesen. Die verbreitete Einstellung lautet „Ich habe ein Problem und will die Lösung jetzt (ohne Rücksicht auf die Kosten)“. Das gilt zum Beispiel für die Weiterbildung: Junge Führungskräfte wünschen sich Weiterbildungsmaßnahmen, die wenig Zeit verbrauchen und schnell übertragbares Wissen versprechen.

Bevorzugt werden kleine Lernhäppchen, auch „Learning Nuggets“ genannt. Und zwar am liebsten hier und jetzt am Bildschirm, nicht in ein paar Wochen im Seminarraum.

Rundweg abgelehnt wird dagegen Lernen auf Vorrat und vor allem Frontalunterricht. Kein Millennial will nur dasitzen und sich berieseln lassen. Seminaranbieter haben darauf schon reagiert und in Führungskräftetrainings alle Vorträge auf maximal 20 Minuten zusammengekürzt. Deutlich mehr Raum dagegen bekommen interaktive Übungen, Simulationen und Outdoor-Elemente. Rausgefallen ist zudem alles, was mit Zeitaufwand für die Teilnehmenden verbunden ist. Sogar die Fallstudien, jahrelang ein Pfeiler aller Managementkurse, sind vielerorts von der Agenda verschwunden. Der Grund: Es hat sich gezeigt, dass nur noch wenige junge Teilnehmende bereit sind, sich vorab in umfangreiches Material einzulesen.

Das schöne Tagungshotel in der Provinz mit gutem Essen lockt die Chefin oder den Chef von morgen übrigens auch nicht hinterm Ofen vor. Aus ihrer Sicht ist dieses isolierte Lernen überkommen wie Krawattenzwang und die obligatorische „Sie“-Ansprache unter Kollegen. Die Aussicht auf vier Tage Ausklinken lockt Millennial-Manager nicht. Sie würden fragen „Warum kürzen wir den Kurs nicht auf zwei Tage und erledigen den Rest per E-Learning?“.

Das neue Statussymbol: der Coach

Wenn es für die neuen Führungskräfte überhaupt ein Statussymbol gibt, dann ist es der persönliche Coach. Während viele Babyboomer (nach 1955 geboren) noch der Ansicht waren, dass jemand ein Defizit hat, wenn er sich professionell unterstützen lässt, sehen die Millennials Coaching durchweg positiv. Ein entsprechendes Angebot ist für sie nicht mehr „nice to have“, sondern Standard. Schon Trainees rufen mitunter nach dem eigenen Coach.

Um zu verstehen, woher die Begeisterung für Beratung jeder Art kommt, hilft wiederum ein Blick in ihre Biografie. Viele Millennials sind von ihren Eltern partnerschaftlich erzogen worden, das heißt, Mutter und Vater spielten eher die Rolle von Freunden als die von tadelnden Autoritäten. Sie waren in allen Fragen Ratgeber und begegneten dem Nachwuchs immer auf Augenhöhe. Genauso eine enge Betreuung wünschen sich die Millennials auch im Berufsleben. Das dürfte Unternehmen in den kommenden Jahren noch vor Probleme stellen, schließlich gibt es kaum eine kostspieligere Entwicklungsmaßnahme als den persönlichen Coach.

Grundsätzlich streben Millennials viel stärker als bisherige Generationen danach, persönlich zu wachsen, und zwar mithilfe von außen. 32 Prozent finden, dass Chefs der Entwicklung ihrer Mitarbeitenden Priorität einräumen sollten. Allerdings sehen das nur 18 Prozent der aktuellen Verantwortungsträger so, ergab eine Umfrage der Unternehmensberatung Deloitte. Wie weit soll die Unterstützung gehen, die sich die Millennials wünschen?

„Wir nehmen euch persönlich bei der Hand“, versprechen Unternehmen mittlerweile oft schon in der Bewerberansprache. Beispiel: Die Kreditkartenfirma Mastercard ließ in der europäischen Ausgabe des „Wall Street Journal“ unlängst einen Mitarbeiter davon berichten, dass ihm bis zu fünf (!) Mentoren bei Fragen zur Verfügung stünden. Für einen Milliardenkonzern mag das machbar sein, für die meisten Mittelständler kaum. Nicht jedes Unternehmen wird seinen Millennials einen oder mehrere Mentoren, schon gar nicht mehrere Coaches, zur Seite stellen können. Allein aus Kostengründen ist die Beschäftigung von externen Experten dieser Art gar nicht leistbar.

Eine Aufgabe mit langem Atem verfolgen – keine Stärke der Millennials

Wobei durchaus Beratungsbedarf besteht. Die Millennials haben – wie alle Generationen – ihre spezifischen Schwächen. Experten bemängeln zum Beispiel fehlende Soft Skills, vor allem im Umgang mit Menschen, die nicht aus ihrer eigenen Generation kommen – sprich: mit älteren Kollegen. Außerdem tun sich Millennials mitunter schwer damit, ihre Zeit richtig einzuteilen, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und vorausschauend zu planen. Es mangelt schlichtweg an Umsetzungskompetenz. Ein Punkt, der nach Generationen-Bashing klingt, aber von allen Experten unisono genannt wird, ist die fehlende Resilienz: Viele Millennials müssen noch lernen, eine Aufgabe mit langem Atem zu verfolgen und Rückschläge wegzustecken.

Natürlich ist eine Altersgruppe niemals homogen, und die Vorlieben der Einzelnen weichen häufig von denen der Gruppe ab. So gibt es auch unter den Millennial-Führungskräften einige, die nach Titeln fragen und eine klassische Kaminkarriere machen wollen. Für die Personalentwickler wird die Welt in Zukunft dadurch deutlich komplexer: Sie müssen den Wünschen aller Mitarbeitenden nachkommen und die traditionelle Kaminkarriere genauso unterstützen wie den Stop-and-Go-Aufstieg, den sich viele Millennials wünschen.

Erschienen in “Entwickeln Sie ZUKUNFTS_KRÄFTE – Wer gestaltet das Morgen?”


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