Autorin: Theresa Meister, zfm-Beraterin

Geteilte Führung, Shared Leadership, Co-Leadership, Topsharing, Jobsharing, Co-Leitung, Doppelspitze, Joint Leadership – all diese Begriffe beschreiben im Kern eine Idee: Die Übernahme einer Vollzeitstelle von zwei Personen, die diese dann „geteilt“ ausüben.

Begrifflichkeiten

Dabei wird per Definition zwischen verschiedenen Ebenen unterschieden: Job-Tandems beschreiben die Teilung einer Position auf Sachbearbeitenden-Ebene ohne Führungsverantwortung. Topsharing wiederum bezieht sich auf Positionen auf Management-Ebene.

Konkrete Beispiele aus der Privatwirtschaft

Online finden sich viele Beispiele aus der Privatwirtschaft, die von ihren Erfahrungen im Jobsharing berichten. Diese stammen ausschließlich von Frauen, die sowohl Familie als auch Karriere unter einen Hut bringen wollten. So findet sich das Tandem „Lydecca Zoelpert“ aka. Lydia Leipert und Rebecca Zöller, die beide seit 2017 beim Bayrischen Rundfunk das Team Digital mit 10 Mitarbeitenden führen. Die zwei teilen sich ihr Team je nach Projekt auf, sodass inhaltliche Themen von beiden getrennt bearbeitet werden. Mit der Unterstützung eines Coaches haben die beiden zu Beginn organisatorische Rahmenbedingungen für die gemeinsame Arbeit im Tandem etabliert, genau wie eine gemeinsame Vision. Auch heute greifen sie bei Themen der Feedbackkultur und Konfliktbesprechungen auf die Coaching Unterstützung zurück. Weitere Lernerfahrungen aus dem Jobsharing haben die beiden in ihrem Buch „Geteilte Arbeit, doppelt durchstarten!“ veröffentlicht.

Ähnlich handhaben es Anja Alpert und Katja Wagner, deren Vornamen im Jobsharing zu „Kanja“ verschmelzen: Die Idee eines Jobshare-Namens, der im ersten Augenblick gewöhnungsbedürftig erscheint, zielt darauf ab, Komplexität zu reduzieren: So soll es Kolleg:innen, Mitarbeitenden und Kunden möglichst einfach gemacht werden, direkt beide Personen ansprechen zu können. Die beiden werden daher in Emails, Projektgesprächen, Teammeetings oder mittlerweile auch einzeln auf dem Flur mit „Kanja“ angesprochen. Als Head of Brand Communication & Agile Transformation ist Team Kanja seit mittlerweile acht Jahren bei Unilever in Hamburg tätig. Beide arbeiten drei Tage die Woche mit einem Tag Überschneidung zum wöchentlichen Austausch, in dem gemeinsame Entscheidungen getroffen werden. Neben einer gemeinsamen Mailadresse nutzen die beiden OneNote für kleinere Updates. Mithilfe einer Übergabemail an die jeweils andere werden die wichtigsten Abläufe der letzten Tage reflektiert und anstehende To-dos formuliert. Diejenige, die am Arbeitsplatz ist, entscheidet: Hierbei sei wichtig, mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen und Entscheidungen vor allem in kritischen Situationen mitzuverantworten.

Letzteres betont auch ein weiteres Jobsharing-Team: „Ma-Ni“, Martina Reick und Natali Proff de Hadviger, verantwortet als Global Associate Marketing Director die weltweite Vermarktung der Marke „Eucerin Body“ bei Beiersdorf. Von den beiden ist immer jemand vor Ort und ansprechbar. Das gilt auch für die Urlaubsplanung: Plant das Tandem den Urlaub möglichst überschneidungsarm, ist immer eine Person vor Ort. In diesem Zeitraum fällt für die anwesende Person natürlich ein gesteigerter Arbeitsaufwand an. Auf der anderen Seite ertrinkt der abwesende Tandem-Part nach Urlaubsende nicht in einer Flut ungelesener Mails und To-dos, die schnellstmöglich aufgearbeitet werden müssen. Das wiederum verspricht eine längerfristige Erholung.

Es lassen sich dutzende weitere Beispiele aus der Privatwirtschaft finden: Allein bei Daimler waren 2019 mehr als 250 „Jobsharer“ auf der Führungsebene beschäftigt.

Konkrete Beispiele aus dem öffentlichen Sektor

Weniger umfänglich fallen die Ergebnisse für Jobsharing im öffentlichen Sektor aus: Neben einem Bericht über zwei Anästhesiologinnen, die sich eine Stelle als Oberärztin an der Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie in München teilen, findet sich noch ein Modellprojekt aus Bremen: Dort wurden laut Bericht im öffentlichen Dienst nur 14% der Führungspositionen in Teilzeit ausgeführt. Daher stieß der Bremer Finanzsenator im Herbst 2020 ein Pilotprojekt an, um mehr Menschen für geteilte Führung zu begeistern: Fünf Tandempaare wurden zusammengeführt und im Laufe von zwei Jahren begleitet.

Eins dieser Tandempaare sind Hilke Wiezoreck und Astrid Becker: Das Tandem kannte sich vorher nicht und ist nun gemeinsam am Landesinstitut für Schule für Personalentwicklung und Fortbildungen der Führungskräfte zuständig. Die Gründe der beiden, sich im Jobsharing zu probieren, fallen unterschiedlich aus: Für die eine stand die Kinderbetreuung im Vordergrund, für die andere der Spaß am gemeinsamen Arbeiten, denn „Leitung macht oft einsam“. Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Modellprojekt hat die Stadt Bremen in einem Leitfaden zusammengefasst. Dieser bleibt allerdings recht allgemein gehalten und es finden sich keine weiteren Angaben dazu, ob die Tandempaare nach wie vor zusammenarbeiten, ob dies zu einem Anstieg an Jobsharing im Bremer öffentlichen Dienst geführt hat oder ob es spezielle Hürden beim Jobsharing in Verwaltungen zu bedenken gibt.

Konkretere Antworten finde ich im Interview mit Sönke Eichner und Anja Voß aus der Stadtverwaltung Hilden. Sönke Eichner ist als Erster Beigeordneter für das Dezernat III mit den Themen Soziales, Integration, Wohnen, Schule, Jugend, Sport und Kultur verantwortlich. Anja Voß leitet dort das Amt für Jugend, Soziale Dienste und Integration. Als Teil der ehemaligen Doppelspitze führte sie 2017 bis 2022 das damalige Jugendamt, das mit seinen rund 450 Mitarbeitenden das größte Amt der Verwaltung darstellte.
Die Führung des Jugendamtes durch eine Doppelspitze war keine geplante Maßnahme, berichten die beiden, sondern habe sich angeboten, da der damalige Amtsleiter, Ulrich Brakemeier, einen vorzeitigen Wechsel in Altersteilzeit anstrebte. So gründete er mit Anja Voß, die damals stellvertretende Amtsleiterin war, ein Tandem.
Durch eine Aufteilung der Geschäftsbereiche zwischen den beiden hatte jedes Sachgebiet eine klare Ansprechperson. Zusätzlich konnte mithilfe dieses Vorgehens das Amt langfristig umstrukturiert werden. Zu Beginn des Tandems wurde gemeinsam mit allen anderen Leitungen im Amt ein gemeinsames Coaching durchgeführt. Mithilfe einer Stärkenanalyse fanden Anja Voß und Ulrich Brakemeier außerdem heraus, „wen man für was ins Rennen schickt“, um eine optimale Zusammenarbeit und ein gegenseitiges Ergänzen zu fördern.
Im Gespräch berichtet Anja Voß, dass die beiden sich durch ihre vorherige Zusammenarbeit gut kannten und ähnliche Wertevorstellungen von Führung, Strategie und einem gemeinsamen Vorgehen besaßen. Und natürlich eine gute Portion Vertrauen in die jeweils andere Person mitbrachten. Ein großer Mehrwert dieses Tandems lag vor allem darin, dass die beiden sich fachlich ergänzten: Mit ihrem Verwaltungshintergrund brachte Anja Voß ein umfassendes Verwaltungswissen mit, Ulrich Brakemeier als Sozialpädagoge den fachlichen Blick auf das Amt.
Dies ist ein Punkt, den auch ihr Vorgesetzter, Sönke Eichner, zu schätzen wusste: „Viele Pädagogen bringen eine andere Sichtweise mit – da muss das Verwaltungs-knowhow miteinfließen.“. Auf die Frage, ob beide mit den Erfahrungen aus der Tandemzeit anderen Verwaltungen Jobsharing empfehlen würden, folgt „ein ganz klares Ja“ von Sönke Eichner. Anja Voß ergänzt, dass vor allem Positionen, in denen sowohl fachliches Wissen, aber auch Verwaltungskenntnisse unerlässlich sind, ein großes Potenzial für Doppelspitzen bieten.

Aber woran liegt es dann, dass Job- bzw. Topsharing im Vergleich zur Privatwirtschaft in der Verwaltung noch wenig etabliert scheint?
„Es wird noch nicht als Chance begriffen“ und „oft mangelt es noch an Mut“, schätzt Anja Voß die Lage ein. Zur Gründung des Tandems sei es im Vorhinein wichtig gewesen, alle Personal- und Organisationsverantwortlichen mit ins Boot zu holen und Lösungen zu präsentieren. So wurde das erste Tandem der Geschichte der Stadtverwaltung Hilden mit uneingeschränkter Akzeptanz willkommen geheißen. Und es klingt an, als würde es nicht das letzte sein.

Fazit: Was braucht es also für Jobsharing?

„Für große Egos und Alpha-Tiere, die alles allein entscheiden wollen, ist so ein Jobsharing Modell nichts“ (Proff de Hadviger) – vielleicht findet sich in diesem Statement auch eine vorurteilsbelastete Antwort auf die Frage, warum es bislang kein bekanntes ausschließlich männliches Jobsharing-Paar gibt.

In Bezug auf die Voraussetzungen für ein gelungenes Jobsharing ähneln sich die Erfahrungen der Tandems sehr: Jobsharing ist vor allem für Personen eine Option, die Teamorientierung und Spaß an der Zusammenarbeit mitbringen. Man müsse nicht befreundet sein, aber eine ähnliche Wertevorstellung gegenüber dem Beruf, sowie ein ähnliches Führungsverständnis mitbringen. Ergo ist ein gewisses Maß an Berufserfahrung unabdingbar. Eine offene und disziplinierte Kommunikation ist die Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit in jeder Position – im Jobsharing ist diese das A und O. Zu guter Letzt betonen alle Tandems, dass Vertrauen die Basis für Jobsharing ist: Das Mittragen der Entscheidungen des/der jeweils anderen und das Bilden einer gemeinsamen Einheit nach innen und außen ist essenziell.

Implikationen

Generell bietet das Jobsharing Modell, sowohl auf Mitarbeitenden- als auch auf Führungsebene, ein attraktives Arbeitsmodell: Sei es eine ausgewogenere Work-Life-Balance, die Möglichkeit zur Familienplanung und/oder die Pflege von Familienmitgliedern, die damit ermöglicht wird. Jobsharing kann einerseits als Employer Branding Maßnahme nach außen wirken und für potenzielle neue Mitarbeitende ein attraktives Modell darstellen. Andererseits wirkt Jobsharing auch nach innen: Als Maßnahme der Mitarbeitendenbindung können durch Jobsharing-Angebote langjährige, qualifizierte Mitarbeitende weiterhin gehalten werden. Darüber hinaus wird am Beispiel der Stadtverwaltung Hilden deutlich, dass damit auch strukturelle Veränderungen begleitet werden können.

Führungsebene

Familienverpflichtungen sind – vor allem in den berufserfahrenen Generationen – nach wie vor stärker Frauen- als Männersache. Daher bietet Jobsharing generell allen Menschen, aber insbesondere Frauen, eine attraktive Möglichkeit, Führungspositionen zu übernehmen. Darüber hinaus vermittelt Jobsharing ein alternatives Verständnis der Führungsrolle: So vereinsamt man als Führungskraft nicht mit den eigenen Entscheidungen, sondern bleibt Teil eines Teams, das sich gegenseitig unterstützt.

Chance für den öffentlichen Dienst

In Zeiten des Personalmangels sollte Jobsharing als Maßnahme verstanden werden, neue Mitarbeitende anzuziehen. Für die Personalauswahl kann das konkret bedeuten, mit dem Slogan „bring your friend or colleague“ zu werben: Die Option, eine neue Herausforderung mit einer Kollegin oder einem Kollegen anzunehmen und sich gemeinsam in ein neues Umfeld einzufinden, könnte vielen Personen den entscheidenden Anlass geben, sich zu bewerben. Mit Blick auf den Fachkräftemangel bietet Jobsharing der öffentlichen Verwaltung die große Chance, verwaltungsfremden Personen den Einstieg in die Verwaltung zu ermöglichen: Gemeinsam mit einem verwaltungserfahrenen Tandempartner könnte der Einstieg hier leichter fallen.  

Auch mit Blick auf die Personalkosten steht fest, dass eine unbesetzte Stelle den Arbeitgeber wesentlich mehr kosten kann als ein Jobsharing Tandem. Laut Tandemerfahrungen erhält der Arbeitgeber mehr als 100 Prozent an Leistung und Produktivität: Zwei Köpfe können zweimal so viel Fachwissen bieten oder sich idealerweise – wie am Beispiel von Anja Voß und Ulrich Brakemeier verdeutlicht – in ihrem Wissen ergänzen und so gegenseitig neue Perspektiven eröffnen.

Disclaimer und Appell

Jobsharing bietet spannende Möglichkeiten und Perspektiven. Man findet wenige negative Erfahrungsberichte, die verdeutlichen, woran Tandems scheitern können und welche Konsequenzen sich daraus ableiten lassen. Auch Erfahrungsberichte aus dem öffentlichen Sektor, aus denen sich best-practice Maßnahmen ergeben oder anhand derer mögliche Unterschiede zur Privatwirtschaft deutlich werden, sind begrenzt. Vielleicht mangelt es hier auch gar nicht an existierenden Tandems, sondern an der fehlenden Außendarstellung dieser. Dabei sollte Jobsharing im Hinblick auf den Ausstieg der Babyboomer und den Einstieg der Generation Z als wertvolle Chance begriffen werden!


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