Spätestens seit der Ermordung von George Floyd und den damit einhergehenden „Black-Lives-Matter“-Protesten nimmt die Debatte um strukturellen Rassismus in allen Lebensbereichen zu. Seit Jahren legen verschiedene Studienergebnisse, vor allem aus den USA, aber auch aus Europa und Deutschland nahe, dass Rassismus und Diskriminierung auch im Recruiting stattfinden. Als drastisches Praxisbeispiel, das Anfang 2020 durch die Medien ging, sei der Fall eines Architekturbüros aus Berlin genannt. Dessen Chefin kommentierte mit dem Satz „Bitte keine Araber“ ein laufendes Bewerbungsverfahren, schickte die Mail jedoch versehentlich an den angesprochenen Bewerber, sodass der Satz unbeabsichtigt an die Öffentlichkeit gelang.

Autorin: Julia Schwick

Dies ist sicherlich ein drastisches Beispiel für bewussten Rassismus. Vorliegende Studien untersuchen häufig unbewusstere, aber deshalb nicht minder gefährliche Formen von Rassismus in der Personalauswahl. So konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass Personen mit einem türkisch klingenden Namen seltener zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werden, als Personen mit deutsch klingendem Namen – bei ansonsten gleichen Bewerbungsunterlagen[1].
Auch muslimische Frauen mit Kopftuch erfahren im Auswahlprozess Diskriminierung. So ergab eine Studie des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), dass Frauen mit türkisch klingendem Namen, die auf ihrem Bewerbungsfoto ein Kopftuch trugen, im Vergleich zu Frauen mit türkisch klingendem Namen ohne Kopftuch und Frauen mit deutsch klingendem Namen wesentlich häufiger eine direkte Absage auf ihre Bewerbung erhielten. Die fiktive Bewerberin mit dem deutsch klingenden Namen war mit ihren – bis auf Namen und Foto exakt übereinstimmenden – Bewerbungsunterlagen am erfolgreichsten.

Der Grad der Diskriminierung war zudem bei zunehmendem Qualifikationsniveau der ausgeschriebenen Position höher.[2]

Eine breit aufgelegte Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) liefert Evidenzen dafür, dass Bewerber*innen mit Migrationshintergrund, vor allem Bewerber*innen mit schwarzem Phänotyp oder muslimischer Religion, auf dem deutschen Arbeitsmarkt benachteiligt werden.[3] Dies zeigten die Forschenden, indem sie über 6000 fiktive Bewerbungen auf reale Stellenausschreibungen in acht Berufen verschickten, in denen die Ethnizität, das äußere Erscheinungsbild, die Religionszugehörigkeit, aber auch das Geschlecht oder der Notendurchschnitt variiert wurden. Zur Erklärung der Diskriminierung ziehen die Autor*innen kulturelle Distanz heran und führen aus, dass Arbeitgeber Bewerber*innen mit Migrationshintergrund besonders dann benachteiligen, wenn impliziert wird, dass ihre kulturellen Werte stark von Wertvorstellungen in Deutschland abweichen.

Zur Erklärung von Rassismus im Recruiting wird oftmals der sogenannte „unconscious bias“ herangezogen. Dieser bezeichnet unbewusste kognitive Verzerrungen, wie zum Beispiel automatische Stereotype, die ansozialisiert und durch gesellschaftliche Strukturen begründet sind. Ein solches „Schubladendenken“ vereinfacht und beschleunigt kognitive Prozesse, ist jedoch unbewusst und somit in Entscheidungsprozessen schwer zu vermeiden. Eine Auflösung solcher unbewussten Stereotype liegt insbesondere darin, sich zugrundeliegende Denkmuster und Schemata bewusst zu machen, zum Beispiel indem man sich mit der Thematik Rassismus und Diskriminierung im Recruiting und Alltag aktiv auseinandersetzt.

Ein erster Schritt kann für Verantwortliche darin liegen, sich die Frage zu stellen: Welche Schritte unseres Recruitingprozesses sind potenziell diskriminierend? Wo können unconscious bias greifen? Gerade diese Schritte sollten standardisiert und bestmöglich objektiviert werden. Beispielsweise, indem die Sichtung und Beurteilung der Bewerbungsunterlagen nach klaren, vorab definierten Beurteilungskriterien erfolgt und nicht „aus dem Bauchgefühl heraus“. Darüber hinaus bietet sich ein „4-Augen-Prinzip“ an, sowohl bei der Beurteilung der Bewerbungsunterlagen als auch bei Bewerbungsgesprächen. Insbesondere bei größeren Beobachtungsgremien sollten Verantwortliche zudem auf eine möglichst heterogene Besetzung achten (und nicht nur die oft benannte Gruppe der „alten, weißen Männer“ heranziehen) – divers besetzte Beobachtungsgremien beugen unconscious bias potenziell vor, da Personen mit unterschiedlichen Sozialisationsgeschichten zusammenkommen.

Vollständig anonymisierte Bewerbungsverfahren senken zwar die Wahrscheinlichkeit, dass Bewerber*innen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft oder ihres äußeren Erscheinungsbildes diskriminiert werden. Allerdings sollte man hier Vorsicht walten lassen – neuere Studien zeigen, dass auch auf künstlicher Intelligenz basierende Software diskriminiert. Dies liegt vor allem daran, dass solche Systeme selbst lernen – und zwar auf Basis bereits vorliegender Daten, das heißt auf Basis vorheriger Auswahlentscheidungen. Wenn in einer Organisation also insbesondere Menschen einer bestimmten ethnischen Herkunft bzw. eines bestimmten Alters oder Geschlechts tätig sind, die eine gute Leistungen erbringen, „lernt“ die Organisation, entsprechend ähnliche Bewerber*innen vorzuziehen. Sie übernimmt die bisherige Diskriminierung.

Eine Alternative ist, zumindest die Bewerbungsunterlagen zu anonymisieren, indem Name, Alter, Familienstand, Herkunft und das Foto vor der Sichtung und Beurteilung unkenntlich gemacht werden. Dies erleichtert Recruiter*innen eine ausschließlich auf Qualifikationen und Erfahrungen basierende Beurteilung. Verantwortliche sollten sich jedoch darüber bewusst sein, dass auch in den darauf folgenden Auswahlschritten (Telefoninterviews, Bewerbungsinterviews, Assessment Center) ein besonderes Augenmerk auf mögliche rassistische Urteilsverzerrungen zu legen ist.

Sich Alltagsrassismus bewusst machen, heißt jedoch auch, darüber zu sprechen, sich zu informieren und Betroffenen Gehör zu schenken. Einen ersten Überblick, auch zu rechtlichen Rahmenbedingungen, liefert der „Fair in den Job! Leitfaden für diskriminierungsfreie Einstellungsverfahren“ der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Empfehlenswert ist darüber hinaus die Arbeit von Tupoka Ogette, die sich als Speakerin und Podcasterin, aber auch in ihrem Buch „Exit Racism – Rassismuskritisch denken lernen“ damit auseinandersetzt, Rassismuskritik und Antirassismus in den gesellschaftlichen Diskurs zu führen.

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[1] Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR, 2014): Diskriminierung am Ausbildungsmarkt: Ausmaß, Ursachen und Handlungsperspektiven.

 (https://www.svr-migration.de/publikationen/diskriminierung-am-ausbildungsmarkt/)

[2] Doris Weichselbaumer (2016): Discrimination against Female Migrants Wearing Headscarves, IZA DP No. 10217. (https://ftp.iza.org/dp10217.pdf)

[3] Ruud Koopmans, Susanne Veit, Ruta Yemane (2018): Ethnische Hierarchien in der Bewerberauswahl: Ein Feldexperiment zu den Ursachen von Arbeitsmarktdiskriminierung, WZB Discussion Paper SP VI 2018-104. (https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2018/vi18-104.pdf)


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