Autorin: Elisa Heinen, zfm-Beraterin, Psychologin, M. Sc.
Willkommen auf dem Arbeitnehmermarkt!
In der heutigen wettbewerbsorientierten Arbeitswelt ist es für Organisationen im öffentlichen Sektor von entscheidender Bedeutung, qualifizierte Bewerbende anzuziehen und zu binden. Doch wie kann das gelingen?
Um diese Frage zu beantworten, ist ein Perspektivwechsel von der Sichtweise der Personalverantwortlichen zur Sichtweise der Bewerbenden unerlässlich.
Immer wieder berichten Bewerbende von negativen Erfahrungen während des Bewerbungsverfahrens. Von umständlichen Bewerbungsverfahren über unangemessen lange Wartezeiten bis hin zu unbeantworteten Bewerbungen und unvorbereiteten Vorstellungsgesprächen – all diese Erfahrung können seitens der Bewerbenden einen Eindruck mangelnden Interesses und Wertschätzung hervorrufen. Eine alarmierende Konsequenz davon ist, dass gemäß einer Studie von Softgarden 58 % der Befragten bereits einmal eine Bewerbung abgebrochen haben, obwohl sie die Stelle eigentlich interessant fanden.[1]
Eine positive Candidate Experience kann hingegen nicht nur dazu beitragen, die Rekrutierungseffizienz zu steigern, sondern auch die Reputation einer Organisation zu verbessern und die Mitarbeiterbindung zu stärken. Zufriedene Bewerbende neigen eher dazu, das Unternehmen weiterzuempfehlen und sich erneut zu bewerben, selbst wenn sie beim ersten Versuch nicht erfolgreich waren.
Was ist Candidate Journey und Candidate Experience?
Die Candidate Journey beschreibt die gesamte Reise des Bewerbenden entlang des Rekrutierungsprozesses, betrachtet aus seiner/ihrer persönlichen Perspektive.
Die Reise beginnt für die Bewerbenden mit dem Moment, in dem sie erstmals auf das Unternehmen aufmerksam werden. Die Bekanntheit des Unternehmens spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Idealerweise sind Bewerbende bereits mit dem Arbeitgeber vertraut. Der erste Kontakt kann über verschiedene Kanäle wie Stellenbörsen, Web- und Karriereseiten, Social Media, Presse, Jobmessen oder Jobbotschafter:innen erfolgen. Informationen über Unternehmen und deren offene Stellen verbreiten sich oft auch über persönliche Kontakte (sogenanntes “Vitamin B”). Die Reise geht nach dem ersten Kontakt weiter über die Bewerbung bis hin zur Einstellung und Einarbeitung. Doch wie müssen diese Schritte gestaltet werden, um den Bewerbenden eine positive Erfahrung zu bieten?
Wie schon beschrieben, ist es immens wichtig, die Sicht der Bewerbenden einzunehmen. Eine Candidate Experience spiegelt die persönlichen Erfahrungen, Emotionen und Eindrücke, die Bewerbende während des gesamten Rekrutierungsprozesses erleben, wider. Es ist auch Aufgabe der Personalverantwortlichen, diesen Weg möglichst angenehm und attraktiv zu gestalten. Jeder Schritt ermöglicht es der Organisation, eine festere Bindung zu Kandidaten aufzubauen.
Also wie kann eine positive Candidate Experience gestaltet werden?
- Analyse der Kontaktpunkte des Bewerbenden mit dem Unternehmen: Durch das Verstehen der Berührungspunkte aus Perspektive der Bewerbenden können potenzielle Problembereiche identifiziert und optimiert werden. Dabei kann beispielsweise festgestellt werden, dass Bewerbende häufig Schwierigkeiten haben, den aktuellen Stand ihrer Bewerbung zu verfolgen. Als Reaktion darauf könnte das Unternehmen eine transparente Online-Plattform einführen, auf der Bewerbende den Status ihrer Bewerbung in Echtzeit verfolgen können.
- Analyse der Zielgruppen: Für unterschiedliche Zielgruppen sind unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse wichtig. Es muss untersucht werden, was die Zielgruppe genau will und wie diese Wünsche umgesetzt werden können. Zum Beispiel könnten junge Berufseinsteiger Wert auf Entwicklungsmöglichkeiten und Unternehmenskultur legen, während erfahrene Fachkräfte möglicherweise mehr Wert auf Gesundheitsleistungen und Vergütung legen. Das Unternehmen sollte seine Kommunikation und Angebote entsprechend anpassen, um die Bedürfnisse jeder Zielgruppe zu erfüllen.
- Der erste Eindruck zählt: Wie bei vielem ist eine positive Candidate Experience vom ersten Kontakt des Bewerbenden mit dem Unternehmen abhängig. Ein positiver Eindruck kann das Interesse am Unternehmen steigern. Beispielsweise ist das Erscheinungsbild, die Informationsqualität und die Übersichtlichkeit der Web- und Karriereseite des Unternehmens hier von besonderer Bedeutung.
- Personalisierung: Eine personalisierte und individualisierte Ansprache vermittelt den Bewerbenden Wertschätzung. Personalisierung kann sich nicht nur in der Kommunikation im Bewerbungsprozess, sondern bereits in zielgruppenspezifischen Formulierungen in Stellenanzeigen widerspiegeln. Auch in Bewerbungsgesprächen macht Personalisierung den Unterschied. Ein Interviewender, der sich mit dem Lebenslauf im Vorhinein gut auseinandergesetzt hat, signalisiert Respekt für die Person und schafft eine positive Erfahrung.
- Benutzerfreundliche Bewerbungsplattform: Der Schritt zu einer Bewerbung sollte möglichst leicht gestaltet werden. Dies geht am einfachsten über Bewerbungsplattformen, auf denen die eigenen Bewerbungsunterlagen schlicht hochgeladen werden. Im ersten Schritt sollten dabei nicht zu viele Informationen verlangt werden. Eine intuitive Plattform trägt dazu bei, Frustrationen zu vermeiden und das Bewerbungserlebnis zu verbessern.
- Kommunikation: Regelmäßige und transparente Kommunikation während des gesamten Bewerbungsprozesses ist entscheidend. Bewerbende sollten über den Status ihrer Bewerbung, über den Zeitplan und weitere Schritte informiert werden, um Ungewissheit und Unsicherheit zu minimieren. Dabei ist auch wichtig, dass die Prozesse nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Bewerbende abspringen, steigt je länger der Bewerbungsprozess dauert und je weniger Informationen sie bekommen.
- Einbeziehung der Mitarbeitenden: Die Einbindung der Mitarbeitenden in den Recruitingprozess ermöglicht es potenziellen Bewerbenden, einen authentischen Einblick in die Unternehmenskultur, Arbeitsumgebung und Teamdynamik zu erhalten. Mitarbeitende können in Interviews, Assessment-Centern oder Rundgängen durch das Unternehmen wertvolle Informationen über den Arbeitsplatz vermitteln, die Bewerbenden helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen.
- Kontinuierliche Verbesserung: Regelmäßige Umfragen helfen, die Zufriedenheit der Bewerbenden zu messen und Feedback für Verbesserungen zu sammeln. Darüber hinaus empfiehlt es sich Schulungen für Recruiter:innen und Interviewende anzubieten, die ihnen nicht nur dabei helfen, erfolgreiche Interviews zu führen, sondern auch eine positive Candidate Experience zu erzielen.
Die Bedeutung einer positiven Candidate Experience im öffentlichen Sektor
Die Reise von Bewerbenden beeinflusst die Arbeitgebermarke einer Organisation. Durch eine positive Candidate Experience kann das Image einer Organisation gesteigert werden, was es attraktiver für potenzielle Bewerbende macht. In der heutigen Zeit teilen viele Bewerbenden ihre Erfahrungen während des Bewerbungsprozesses in sozialen Medien. Eine positive Rezension kann neue Talente anziehen und die Organisation vorantreiben. Zusätzlich legt eine positive Erfahrung im Bewerbungsprozess den Grundstein für langfristige Beziehungen zu talentierten Personen. Denn wir alle haben einmal als Bewerbende begonnen.
Zufriedene Bewerbende, die sich während des Einstellungsprozesses respektiert gefühlt haben und sich mit den Werten der Organisation identifizieren konnten, werden sich wahrscheinlicher zu engagierten und wertvollen Mitarbeitenden entwickeln. Sie bringen nicht nur ihre Fähigkeiten mit, sondern auch eine intrinsische Motivation, die von Anfang an durch eine positive Candidate Experience gestärkt wurde.
Darüber hinaus kann ein effizienter Recruitingprozess, der durch weniger vorzeitige Abbrüche und mehr Einstellungen von Top-Talenten geprägt ist, Kostenersparnisse mit sich bringen.
Insgesamt ist die Gestaltung einer erfolgreichen Bewerbendenerfahrung eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Bewerbende finden ihren idealen Arbeitsplatz, während Organisationen erstklassige Talente gewinnen und ihre Arbeitgebermarke stärken.
[1] Softgarden (2019). Bewerbungsreport. Wie nehmen Kandidaten aktuell Recruitingprozesse wahr?
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