Autorin: Annika Lachmann, zfm-Beraterin

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Lena (43), eine talentierte und erfolgreiche Marketingmanagerin, fühlt sich trotz zahlreicher Auszeichnungen und positiver Rückmeldungen von Vorgesetzten und Mitarbeitenden innerlich wie eine Betrügerin. In Meetings zweifelt sie an ihren Ideen und ihrem Fachwissen, obwohl sie stets fundierte und erfolgreiche Kampagnen entwickelt hat. Lena erzählt, wie sich dies auf ihr Leben auswirkt: “Selbst wenn ich Erfolge erziele, habe ich das Gefühl, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis jemand merkt, dass ich eigentlich keine Ahnung habe. Ich denke ständig, dass ich nur Glück hatte oder dass ich meine Leistungen nicht wirklich verdient habe. Es ist frustrierend, weil ich weiß, dass ich hart gearbeitet habe und dass ich Ergebnisse erzielt habe, die für sich sprechen. Aber trotzdem bleiben diese Zweifel.”

Wie Lena gibt es zahlreiche Menschen, die mit ähnlichen Gefühlen kämpfen. Wir alle kennen diese Momente, in denen man zweifelt, ob man seinen Job gut macht, ob man den Erwartungen gerecht wird, ob man gut genug ist. Besonders in neuen Situationen und neuen Teams sind diese Gedanken normal, für manche Menschen gehören sie jedoch zum Alltag und haben erhebliche Auswirkungen auf ihre persönliche und berufliche Entwicklung.

Das „Impostor-Syndrom“ (auf Deutsch auch: Hochstapler-Syndrom) ist ein psychologisches Phänomen, das viele Menschen auf unterschiedlichen Ebenen betrifft. Trotz sichtbarer Erfolge und Anerkennung fühlen sich Betroffene innerlich wie Hochstapler, die ständig damit rechnen müssen, entlarvt zu werden. Sie schreiben ihren Erfolg eher dem Glück, Zufall oder externalen Umständen als ihren eigenen Fähigkeiten zu und empfinden selten Stolz in Bezug auf ihre eigenen Leistungen.

Das Impostor-Syndrom wurde erstmals durch die Wissenschaftlerinnen Clance und Imes im Jahr 1978 bekannt. Ihre damalige Studie ergab, dass besonders Frauen dazu tendieren, ihre Erfolge auf äußere Gegebenheiten zurückzuführen und demnach häufiger unter dem Hochstapler-Syndrom leiden. Dennoch kann das Impostor-Syndrom Menschen unabhängig von ihrer Position oder ihrem Erfolg treffen. Es betrifft sowohl junge Berufsanfänger als auch erfahrene Fach- und Führungskräfte. Eine Studie von Sakulku und Alexander (2011) ergab, dass etwa 70 Prozent aller Menschen mindestens einmal in ihrem Leben das Phänomen empfinden.

Die Ursachen des Impostor-Syndroms sind vielfältig und können individuell unterschiedlich sein. Besonders häufig (unabhängig von ihrem Geschlecht) sind vor allem leistungsstarke und erfolgreiche Menschen betroffen, da bei ihnen Perfektionismus und Leistungsorientierung im Vordergrund stehen. Weitere Faktoren, die dazu beitragen können, sind frühere negative Erfahrungen oder kulturelle Einflüsse. Darüber hinaus sind auch äußere Bedingungen maßgeblich daran beteiligt, warum das Impostor-Syndrom auftreten kann.

Doch warum sind besonders Führungskräfte hiervon betroffen?

Die negativen Auswirkungen können vielfältig sein – von verpassten Chancen und beruflicher Stagnation bis hin zu psychischem Stress und Burnout. Demnach kann das Impostor-Syndrom die Karriereentwicklung von Führungskräften erheblich beeinflussen, da es das Selbstvertrauen, die Motivation und den Mut zur beruflichen Weiterentwicklung beeinträchtigt. Führungskräfte verpassen hierdurch potenzielle Chancen zur Weiterentwicklung und beruflichen Beförderung. Sie trauen sich aus Angst vor Ablehnung oder Misserfolg nicht, neue Herausforderungen anzunehmen oder sich für höhere Positionen zu bewerben und bleiben in ihrer beruflichen Entwicklung möglicherweise zurück.

Es ist wichtig zu erkennen, dass das Impostor-Syndrom nicht auf eine tatsächliche Inkompetenz oder mangelnde Fähigkeiten hinweist. Es ist vielmehr eine verzerrte Wahrnehmung der eigenen Leistungen und ein Mangel an Selbstvertrauen. „Das Impostor-Syndrom kann man sich wie einen eingebauten negativen Filter vorstellen“, sagt Christian Lange-Asschenfeldt, Psychiater und Chefarzt der Oberberg Fachklinik Düsseldorf Kaarst. Demnach wird Lob ausgeblendet und Misserfolge werden als Bestätigung gesehen, sodass sich Gedanken wie: „Der lobt mich nur, weil er mich loben muss“ manifestieren.

Um das Impostor-Syndrom zu überwinden, ist es wichtig, diesen negativen Gedanken aktiv zu begegnen und Strategien zur Stärkung des Selbstvertrauens zu entwickeln. Leichter gesagt als getan?

Fazit:
Das Impostor-Syndrom mag hartnäckig sein, aber es ist möglich, es zu überwinden. Indem man seine eigenen Erfolge anerkennt, sich von unrealistischen Ansprüchen löst, Unterstützung sucht und sich auf persönliches Wachstum konzentriert, kann man Schritt für Schritt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wiedererlangen.

Das Impostor-Syndrom sollte nicht als Hindernis betrachtet werden, sondern als Gelegenheit für persönliches Wachstum und Entwicklung. Es erfordert viel Mut und Entschlossenheit, die eigenen Zweifel zu überwinden und das eigene Potenzial zu entfalten. Indem wir das Impostor-Syndrom besser verstehen und aktiv daran arbeiten, es zu bewältigen, können wir uns selbst erlauben, erfolgreich zu sein und uns mit unserem wahren Wert zu verbinden.

Quellenangaben:

Burel, S. (2020). Quick Guide Female Leadership: Frauen in Führungspositionen in der Arbeitswelt 4.0. https://speakupforsuccess.com/wp-content/uploads/2020/05/Imposter-Syndrome-by-Dr.-Valerie-Young-1.pdf

Clance, P. R., & Imes, S. A. (1978). The imposter phenomenon in high achieving women: Dynamics and therapeutic intervention. Psychotherapy: Theory, Research & Practice, 15(3), 241–247.

Telser, F. (2023, 30. März). Impostor Syndrome – Mit diesen Tipps bekämpfen Sie Selbstzweifel im Beruf. Handelsblatt. https://www.handelsblatt.com/karriere/Impostor-syndrome-mit-diesen-tipps-bekaempfen-sie-selbstzweifel-im-beruf/28941576.html

Young, V. (2008). The Impostor Syndrome. Finding a Name for the Feelings. Overcoming the Impostor Syndrome.


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