Kostüm und Dutt bzw. Anzug und glattrasiert? Das gefällt nicht allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Gerade unter jüngeren Beschäftigten sind Tattoos, Piercings und auffallende Frisuren relativ weit verbreitet. Unmerklich findet auch ein Wandel in der Gesellschaft statt: Sichtbarer Körperschmuck wird zunehmend akzeptiert. Es gibt allerdings auch Widerstände.

Akzeptanz des individualisierten Aussehens hängt von Branchen ab

Ein Mann mit halblangen Haaren und Brille stellt sein Konzept vor; seitlich auf seinem Hals über dem weißen Hemd ist unübersehbar ein Muster tätowiert. Die Hand der jungen Dame, die lächelnd ein Dokument aus dem Drucker nimmt, ziert das Bild eines filigranen Spinnennetzes. So sehen Werbungen namhafter Berufsnetzwerke wie LinkedIn heute aus.

Es gilt allerdings: Je kreativer die Branche, desto höher die Akzeptanz für persönliche Stilentscheidungen, die von der Norm abweichen. Manche Unternehmen verankern in ihren Richtlinien Hinweise zum äußeren Erscheinungsbild der Mitarbeitenden. Dass niemand im Unternehmen verbotene Symbole auf der Haut der Angestellten sehen möchte, versteht sich von selbst. Sonst allerdings können die Grenzen mehr oder minder weit gesteckt sein.

Eher konservativ: Finanzwesen, Versicherungen, Öffentlicher Dienst

Während beispielsweise Content Creator im Videobereich häufig bestimmte äußerliche Erkennungsmerkmale aufweisen (etwa Rezo mit seinen blauen Haaren), gibt es Branchen, in denen derartige Auffälligkeiten weniger gern gesehen sind. Das sind vor allem solche Bereiche, in denen Kundinnen und Kunden Dienstleistende erwarten, die Vertrauenswürdigkeit und Seriosität ausstrahlen. Entsprechend arbeiten in Banken, Anlageberatungen und Versicherungsgesellschaften häufig Menschen, die auf auffälligen Körperschmuck verzichten und gepflegte, dezente Kleidung bevorzugen. Das gilt vor allem für Angestellte mit Kundenkontakt.

Auch im Öffentlichen Dienst ist es gern gesehen, wenn die Mitarbeitenden äußerlich nicht allzu sehr aus der Reihe tanzen: Mag es vielen jüngeren Leuten inzwischen egal sein, berührt es zahlreiche ältere und/oder konservative Personen immer noch seltsam, sich mit ihren Anliegen an Menschen zu wenden, deren Erscheinungsbild sie irritiert.

Aussehen ruft Assoziationen hervor

Die ersten Personen, mit denen hierzulande Tattoos in Verbindung gebracht wurden, waren Seefahrer und Gefängnisinsassen. Raue Gesellen also, die eher gefährlich waren und ganz sicher nicht vertrauenswürdig. Viele Menschen denken zudem bei knalligen Haarfarben wie Blau, Grün und leuchtendem Rot an Punks der 1980er und 1990er Jahre – ebenfalls eine Menschengruppe, der die meisten nicht ohne Bedenken ihre Daten anvertrauen würden.

Diese Gedankenverbindungen sitzen tief. Dass ein Undercut mit türkisen Strähnen darüber oder ein sichtbares Tattoomotiv nichts über die Fähigkeiten, die Ausbildung und die Integrität der jeweiligen Person aussagen, ist den meisten Menschen klar, wenn sie aktiv darüber nachdenken. Dennoch entscheiden sich viele instinktiv eher für konservativer wirkende Beraterinnen und Berater, wenn sie die Wahl haben: Diese wirken häufig auf den ersten Blick kompetenter und vertrauenswürdiger – sie strahlen Bodenständigkeit aus und vermitteln ein Gefühl von Sicherheit in einer Welt, die sich manchmal beängstigend schnell dreht.

Der Wandel ist unaufhaltsam

Da es inzwischen viele professionelle Tattoo Artists gibt, die exzellente Arbeit leisten, entscheiden sich zunehmend mehr Menschen für diese Art von Körperkunst. Oft sind es sehr persönliche Motive, die besondere Bedeutungen haben – die etwa an geliebte Menschen erinnern, an besonders wichtige Themen oder daran, eine Krise überwunden zu haben. Lauingens Bürgermeisterin Katja Müller zum Beispiel trägt ein Tattoo, das die Organspende thematisiert.

Da der Personalmangel auch im öffentlichen Dienst wächst, werden Arbeitgeber hier sich auf die Dauer kaum darauf zurückziehen können, ausschließlich Menschen ohne individuellen Körperschmuck einzustellen. Bei der Entscheidung zwischen einer unbesetzten Stelle und einer Mitarbeiterin bzw. einem Mitarbeiter mit einem Tattoo oder einer auffälligen Frisur ist die Antwort klar: Die Arbeit muss erledigt werden, es gibt jemanden, der qualifiziert ist – in einer solchen Situation abzulehnen, kann sich niemand leisten.

Natürlich gibt es auch hier Abstufungen. Es wird wahrscheinlich noch lange dauern, bis der Personalsachbearbeiter im Rathaus ein Spinnentattoo auf dem Kehlkopf trägt. Ein Motiv auf Arm oder Bein hingegen oder ein kleines Sternchen hinter dem Ohr werden inzwischen eher als normal empfunden. Diese Art von Körperkunst gilt den meisten Menschen nicht mehr als Hinweis auf gewollte Unangepasstheit an eine allzu durchorganisierte Gesellschaft.


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