„[…] weil viel mehr Menschen eine Arbeit tun, die sie wirklich tun wollen – die sogar im Idealfall ihre Berufung ist“ (Frithjof Bergmann, 1984).
So sieht nach dem österreichisch-US-amerikanischen Philosoph Frithjof Bergmann die Zukunft von Arbeit in etwa aus. Bergmann formulierte seine Idee bereits in den 80er Jahren und etablierte damit eine neue Theorie der Arbeitswelt, nämlich die der sinnstiftenden und zukunftsweisenden Arbeit – „New Work“.
Dabei stützt Bergmann sich v. a. auf die mit der Industrialisierung einhergehenden technischen, ökonomischen und sozialen Veränderungen in der arbeitenden Gesellschaft. Die fortschreitende Technologie machte es möglich, Arbeit von Maschinen ersetzen zu lassen, wodurch sich Arbeitsplätze vermehrt in den Dienstleistungssektor (tertiärer Sektor) verlagerten. Eine bedeutende Transformation äußert sich demnach in einer seit den 50er Jahren stattfindenden „Tertiärisierung“ von Arbeitsplätzen. Laut dem Statistischen Bundesamt waren im Jahr 2019 insgesamt 74,5 % der etwa 45 Mio. Erwerbstätigen in Deutschland im Dienstleistungssektor beschäftigt. Im Jahr 2000 betrug der Anteil noch knapp 70 %.

Die digitale Revolution ist heute das wohl am stärksten sichtbare Merkmal der modernen Arbeitswelt. Doch auch die Globalisierung prägt die heutige Arbeitswelt immens: Das internationale Geschäft boomt und wird durch die virtuelle Konnektivität verstärkt, wodurch die Produktivität, jedoch zugleich auch der Wettbewerbsdruck, steigen. Als Folge dieser Transformationen werden nicht nur die Arbeitsbedingungen, sondern auch die gesamten Lebensverhältnisse von Erwerbstätigen maßgeblich verändert. „Arbeit“ hat in unserer heutigen Gesellschaft eine vollkommen neue Bedeutung erhalten. Vor diesem Hintergrund bezeichnet „New Work“ die Zukunft von Arbeit, gar eine neue Arbeitskultur, in welcher individuelle Werte, Wünsche und Erwartungen des Einzelnen stärker als zuvor in den Mittelpunkt treten. Die „körperliche Ertüchtigung“ zum Zweck des Geldverdienens spielt hingegen heute kaum noch eine Rolle. Vor diesem Hintergrund versucht Arbeit 4.0 die Idee der Selbstverwirklichung mit einem innovativen Arbeitsumfeld zu vereinen. Doch welche Chancen verbergen sich hinter der Transformation der Arbeitswelt und welche Bedeutung hat sie für die Gesundheit der Erwerbstätigen?

I. Neue Arbeitsformen durch Arbeit 4.0

Auf Grund der aktuellen Entwicklungen in der Arbeitswelt ist der Großteil der Erwerbstätigen heutzutage an digitalen Arbeitsplätzen beschäftigt und übt überwiegend solche Aufgaben aus, welche eher kognitive statt physischer Ressourcen beanspruchen. Im Zuge der rasanten Medien- bzw. Kommunikationsentwicklung haben moderne Kommunikationsmittel zugleich die Zusammenarbeit am Arbeitsplatz verändert sowie alternative Organisationstrukturen möglich gemacht. Flache Hierarchien sowie veränderte Führungsstile, Teamwork, Mobilität und Agilität sind nur einige Eigenschaften am Arbeitsplatz 4.0. Während Mitarbeiter in klassischen Produktionsberufen hauptsächlich über die, für die Ausübung der Tätigkeit notwendigen, motorischen Fertigkeiten verfügen müssen, gilt für den Dienstleistungsbereich ein gänzlich anderes Anforderungsprofil: Soziale und interpersonelle Kompetenzen, wie etwa Kommunikationsfähigkeit und Teamgeist, aber auch Flexibilität und selbst- sowie emotionsregulatorische Kompetenzen, sind am Arbeitsplatz 4.0 unerlässlich.

II. Chancen von Arbeiten 4.0

Mit den Faktoren der neuen Arbeitswelt geht auch eine veränderte Wahrnehmung von Arbeit einher; Ansprüche und Erwartungen werden zunehmend individualisierter. So erwarten Erwerbstätige heutzutage persönliche Freiräume bei der Gestaltung der beruflichen Tätigkeit sowie Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung.

Der psychologische Effekt von Selbstverwirklichung zeigt sich beispielsweise in der Bedürfnispyramide nach Maslow (Maslow, A. H., 1970). In dieser steht Selbstverwirklichung an der Spitze der Pyramide aller Bedürfnisebenen des Menschen. Nach Maslow kann Selbstverwirklichung erst dann erreicht werden, wenn grundlegende physiologische, materielle sowie sozial-emotionale Bedürfnisse befriedigt wurden. Konkret bedeutet das: Wenn die Ernährung gesichert ist, genügend Geld vorhanden ist, um sich ein schickes Auto zu leisten oder den Traum vom eigenen Haus zu erfüllen, und wenn dazu noch ein funktionierendes soziales Netzwerk besteht, kann erst das Ich-Bedürfnis der Selbstverwirklichung angestrebt werden. Was genau das ist, ist für jeden Menschen sicherlich etwas anderes. Allgemein bezeichnet Maslow diesen Schritt als Ausschöpfung des eigenen Potenzials. Vor diesem Hintergrund bieten die Eigenschaften von Arbeit 4.0 eine Chance für die Befriedigung des obersten der menschlichen Bedürfnisse, sprich für ein erfülltes Selbst.

Die zunehmende Bedeutung von Teamwork an modernen Arbeitsplätzen und der erhöhte Bedarf an Kommunikation und Absprachen – z. T. über Ländergrenzen hinweg – fordert und fördert auch die Gemeinschaft. Produktivität und Erfolg hängen nicht mehr nur von der Leistung des Einzelnen ab. Vielmehr wird das optimale Arbeitsergebnis erst durch die konstruktive Diskussion und das Abwägen von Beiträgen in der Gruppe erreicht. Diese verstärkte Kooperation am Arbeitsplatz stärkt letztlich auch die sozialen Beziehungen zu den Kollegen. Soziale Zugehörigkeit und Akzeptanz wiederum stärken das Wohlbefinden und die Zufriedenheit am Arbeitsplatz.

Gleichzeitig bietet die durch moderne Technologie entstandene Möglichkeit des mobilen Arbeitens die Chance, Familie und Beruf besser vereinbaren zu können. Dies erleichtert nicht nur das Management des Alltags, sondern schafft auch mehr Lebensqualität. Klassische Rollenverteilungen, bei denen Mütter für die Kindererziehung und den Haushalt ihre Berufe aufgeben müssen und Männer Karriere machen, können somit aufgebrochen werden. Nicht mehr der „entweder oder“-Gedanke, sondern die Idee von „sowohl als auch“ ist ein nennenswerter Gewinn von Arbeit 4.0.

III. Risiken von Arbeiten 4.0

Wenngleich die Chancen und die positive Wirkung auf unser Selbst einen großen Benefit der neuen Arbeitswelt darstellen, bergen die Eigenschaften von Arbeit 4.0 nicht zu unterschätzende Risiken insbesondere für die physische und v. a. für die psychische Gesundheit.

Eine Hauptursache für Belastungen am Arbeitsplatz stellt sicherlich die zunehmende „Dynaxität“ dar (Kastner, Kastner & Vogt, 2001). Dabei handelt es sich um ein Kunstwort, zusammengesetzt aus den Begriffen Dynamik und Komplexität. Dienstleistungen, Prozesse und Organisationen verändern sich in ihrer Richtung und Intensität immer schneller (Dynamik) und werden zunehmend komplexer. Diese Schnelllebigkeit in ihrer Unkontrollierbarkeit stellt laut Experten eine Gefahrenquelle für die psychische Stabilität von Beschäftigten dar. Die hohe Leistungsverdichtung und der damit verbundene Stress sowie der Erwartungsdruck, hohe Qualität in kürzester Zeit abliefern zu müssen, münden nicht selten in einer chronischen Überforderung.

Darüber hinaus ist mit mobilem Arbeiten eine gefühlte oder reale ständige Erreichbarkeit verbunden. Trotz der vorhin benannten Chancen dieser Flexibilität, birgt das Arbeiten im Homeoffice auch die Gefahr, dass klare Grenzen zwischen Arbeitsplatz und Freizeit verschwimmen. Durch dieses Work- Life-Blending sind Arbeits- und Freizeitphasen somit nicht mehr klar von außen definiert und das Abschalten vom Arbeitsalltag wird zu einer bewussten, herausfordernden Aufgabe. Gelingt dies nicht, wirkt sich das negativ auf die Gesundheit aus. Zudem fehlt durch das Arbeiten zu Hause der Kontakt zu Kollegen, was je nach Lebenssituation und psychischer Stabilität von Personen auf Dauer auch die Gefahr der Vereinsamung zur Folge haben kann.

Ein wohl typisches, aber nicht zu unterschätzendes Risiko digitaler Arbeitsplätze sind neben psychischen auch körperliche Belastungen. Häufiges Sitzen, Bewegungsmangel oder die hauptsächliche Computerarbeit beispielsweise, führen nicht selten zu körperlichen Einschränkungen oder Erkrankungen, wie Rückenbeschwerden, Bandscheibenvorfälle oder Migräne.

IV. Umgang mit diesen Herausforderungen

Die „New Work“ – Philosophie beinhaltet die Überzeugung, dass der Erfolg von Unternehmen maßgeblich durch die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter und v. a. deren Bereitschaft zu hohen Leistungen mitentschieden wird. Daher ist es unabdingbar, ein gesundes, innovatives und produktives Arbeitsumfeld zu schaffen und die Gesundheit der Beschäftigten auf allen Ebenen zu fördern. Mittlerweile haben sich im Zuge von Arbeit 4.0 einige Möglichkeiten der Prävention sowie Intervention bewährt, welche durch Unternehmen aber auch durch Beschäftigte selbst gesteuert werden können und müssen.

1. Was der Arbeitgeber tun kann

Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) ist von den meisten Organisationen längst als ganzheitliche Unternehmensstrategie integriert worden. Sinn und Zweck des BGM ist es, betriebliche Rahmenbedingungen, Prozesse und Strukturen zu etablieren und systematisch zu steuern, um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten langfristig aufrechtzuerhalten und zu fördern. Wenngleich das BGM in erster Linie humanitäre Zielsetzungen verfolgt, ist es die übergeordnete Intention, langfristigen wirtschaftlichen Erfolg sicherzustellen.

Im Kontext von „New Work“ und den aktuellen Entwicklungen der Arbeitswelt muss das moderne BGM jedoch neu gedacht werden. Dazu gehört neben der Sicherstellung gesundheitsfördernder Arbeitsbedingungen im Wesentlichen die Entwicklung einer Unternehmenskultur des Wohlbefindens. Ziel muss es sein, die Eigenverantwortung und Gesundheitskompetenz der Beschäftigten im Blick zu haben und beides zu stärken. Eine Möglichkeit, sprichwörtlich „Bewegung in den (Arbeits-) Alltag zu bringen“, kann bereits durch den unternehmenseigenen Fitnessraum oder die Kooperation mit einem Fitness-Studio realisiert werden. Doch auch regelmäßige Teamaktivitäten, beispielsweise wöchentliche Joggingrunden nach Feierabend, wirken nicht nur gesundheitsfördernd, sondern können als Team-Building-Maßnahme gleichzeitig auch das Wir-Gefühl stärken. Eine wesentliche Aufgabe im Rahmen des modernen Gesundheitsmanagements ist weiterhin die Führungskräfteentwicklung. Virtuelles sowie agiles Führen sind das Ergebnis des Wandels von Führungsstilen im Zuge neuer Arbeitsformen und Strukturen am Arbeitsplatz und stellen neue Herausforderungen für Führungskräfte dar. Flexible Arbeitszeiten beispielsweise schaffen Raum für die Bedürfnisse einzelner Mitarbeiter und können eine entschleunigende Wirkung haben, was am Ende die Produktivität steigert. Hierbei besteht die Aufgabe der Führungskraft darin, über räumliche Distanzen hinweg zu führen und die Kontrolle über die Qualität der Arbeitsergebnisse sicherzustellen. Ebenso stehen Führungskräfte heutzutage in der Verantwortung, eine Vorbild-Funktion einzunehmen und die Gesundheit ihrer Mitarbeiter durch das eigene Führungsverhalten weiterzutragen. Dafür ist es notwendig, dass Führungskräfte sich durch Coaching und Trainings zunächst selbst das nötige Wissen bzw. eine sogenannte Gesundheitskompetenz aneignen.

2.  Was Beschäftigte tun können

Am Arbeitsplatz 4.0 trägt trotz der Verantwortung, die dem Arbeitsgeber für die körperliche und mentale Gesundheit der Beschäftigen zukommt, jeder Einzelne zur eigenen Gesundheit bei. Zum einen besteht die Notwendigkeit der Entlastung von zunehmend kognitiv ausgerichteten Aufgaben im Job. Dazu wiederum gehört die Fähigkeit zum bewussten Abschalten. Ein Trend im modernen Gesundheitsmanagement lässt sich somit in der Bedeutung von Interventionen aus dem Bereich Meditation, beispielsweise Achtsamkeits-Übungen, feststellen. Die aus dem Buddhismus stammende Idee von Achtsamkeit beleuchtet im Grunde das möglichst bewusste Wahrnehmen von eigenen innerlichen Zuständen und äußeren Gegebenheiten. Am Arbeitsplatz tragen bereits kleine Achtsamkeitsübungen zu einer verbesserten Stressbewältigung bei.

Gleichzeitig werden unterdessen zahlreihe Fort- und Weiterbildungen angeboten, um sowohl fachliche als auch emotionale und soziale Kompetenzen zu etablieren bzw. zu stärken. Diese sollen die Mitarbeiter dabei unterstützen, den stetig wachsen- den Erwartungen an die Qualifikation und Leistungsfähigkeit der „High Potentials“ gerecht zu werden.

V. Fazit

Aus zentralen Transformationen, wie Digitalisierung, Globalisierung und Co. gehen heute nicht nur zunehmend komplexe, rasante und anspruchsvolle Arbeitsbedingungen sowie veränderte Arbeitsformen hervor. Die Veränderungen der modernen Arbeitswelt gehen insbesondere mit einem Wandel in der Gesellschaft hin zu einer neuen Arbeitskultur einher. „New Work“ bezeichnet in diesem Zusammenhang die moderne Vorstellung von „Arbeit“, welche v. a. Sinnhaftigkeit und eine individuelle Selbsterfüllung prophezeit. Wenngleich die Eigenschaften von Arbeit 4.0 durchaus Chancen für Berufstätige bieten, sind damit auch Risiken, insbesondere für die körperliche und mentale Gesundheit von Beschäftigten verbunden. Daher müssen Unternehmen in der heutigen Arbeitswelt Rahmenbedingungen schaffen, um die Gesundheit der Beschäftigten zu fördern und zu erhalten. Doch auch jeder Einzelne kann und muss physischen wie physischen Belastungsfaktoren proaktiv entgegenwirken.

Arbeiten 4.0 kann Selbstentfaltung, Produktivität und zukunftsweisend sein, dies gelingt jedoch nur mit einem strukturierten, ganzheitlichen und nachhaltigen Gesundheitsmanagement aller Akteure und auf allen Ebenen. Erst wenn eine umfassende Kultur des Wohlbefindens in der arbeitenden Gesellschaft etabliert wurde, können hohe Leistungen bei gleichzeitig vorhandener Gesundheit am Arbeitsplatz 4.0 die Zukunft sein.

Artikel erschienen in der Zeitschrift für Betrieb und Personal, Stollfuß Medien


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