Das althergebrachte Renteneintrittsalter verliert an Bedeutung. Viele Wissensarbeiter:innen, die in den nächsten Jahren diese Schwelle erreichen, werden sie ignorieren wollen. Sie sagen sich: Warum aufhören? Diese Haltung wird zwar nicht die gesamte Arbeitnehmerschaft betreffen, aber einen wachsenden Anteil. Personalverantwortliche werden sich über diese altersaktiven Mitarbeiter:innen freuen.

Mitarbeiter:innen von morgen wollen es, wie wir gesehen haben, nicht nur schnell und transparent. Auch ein weiterer Aspekt im neuen Wertegemisch verdient Beachtung – immer mehr Mitarbeiter:innen werden sich künftig in die Rolle des Alterspioniers begeben.

Einer, der dieses Modell heute schon lebt, ist Dietrich Mateschitz. Er ist der Mann hinter Red Bull und gründete die Firma im Jahr 1984. Bis heute steht er an der Spitze des Geschäfts. Das ist nicht nur ein langer, erfolgreicher Berufsweg – Mateschitz verkörpert auch die Rolle des Alterspioniers: jugendlich daherkommender Typ, Jeans, Jackett, Hipster-Bart, offener Hemdkragen, sein Geburtsjahrgang ist 1944. In seinem Sprachvorrat aber haben Wörter wie „Ruhestand“, „Rückzug“ oder „Altersteilzeit“ keinen Platz.

Diesen Typus sehen wir bald häufiger im Arbeitsleben. Nehmen Sie nur diese prominenten Köpfe:
Von Jogi Löw, George Clooney, Jan-Josef Liefers, Ranga Yogeshwar, Julianne Moore oder Ursula von der Leyen erwarten wir nicht, dass sie in fünf, sechs Jahren ihren Beruf aufgeben, nur weil sie ein paar Glückwunschkarten zum 65. Geburtstag bekommen haben.

In der modernen Wissensgesellschaft wird es immer mehr Berufstätige geben, für die das normale Renteneintrittsalter keine Bedeutung mehr hat. Sie fühlen sich jung, fit und gesund und haben den Wunsch, weiterzumachen. Das betrifft zuerst die Baby-Boomer: Jeder vierte von ihnen hält nichts vom Abgang in die Rente mit 65 Jahren, schätzt die Basler Powerage-Foundation. Ein Blick in viele Belegschaften bestätigt das – nie zuvor hatten wir in einer Generation so viele Angehörige der Arbeitsbevölkerung im Alter 60plus, die sich bester Gesundheit erfreuen und die nicht ans Aufhören denken wollen.

Sie streben in eine dritte Karriere. Sie wollen sich einbringen, nützlich sein, erkennbare Beiträge leisten. Sie kehren die bisherige Logik ihres Berufsweges um: Nicht mehr leben, um zu arbeiten – sondern arbeiten, um sinnstiftend zu leben. Das Haus ist abbezahlt, die Ausbildung der Kinder ist finanziert. Die großen Investitionen des Lebens sind längst getätigt. Diese Berufstätigen suchen einen Ort, wo sie weiter Beiträge leisten können, wo sie sich gebraucht fühlen – aber auch einen Ort ohne Aufstiegsdruck und mit weniger Zwängen der Hierarchie.

Für innovative Personalarbeit steckt hier eine große Chance. Wir können den stärksten Folgen des Mitarbeitermangels noch einmal entgehen, wenn wir den Älteren Türen öffnen, die ihnen einen Verbleib im Arbeitsleben ermöglichen. Die Personalarbeit hat hier die Aufgabe, jenseits der 5-Tage-Vollzeitstellen die geeigneten Formate für die Alterspioniere zu schaffen. Einfach wird das nicht, darüber sollten wir uns im Klaren sein. Nahles-Rente mit 63, rechtliche Regelungen und ein Denken nach dem Motto „Weiter wie bisher“ haben Innovation hier bislang nicht gefördert. Dennoch sollten wir das Thema angehen.

Es spricht so viel dafür: Wir würden bewährtes Wissen in der Organisation halten, die Auswirkungen des durch den Abgang der Baby-Boomer ausgelösten Alters-Tsunamis abschwächen und den zeitgeistigen Wunsch vieler Älterer bedienen, die sich die Langeweile im Schrebergarten oder auf dem Kreuzfahrtschiff ersparen wollen.

Hier zeigt sich zudem die Folge eines gesellschaftlichen Umbruchs, der schon vor Jahrzehnten begonnen hat: „Alter“ hat heute eine ganz andere Konnotation als noch zu Zeiten der Kinderjahre der Baby-Boomer. Dank der Fortschritte im Gesundheitswesen treffen wir in der Arbeitswelt auf eine Generation 60plus, die so fit, motiviert und gesund ist, wie keine ihrer Vorgänger. Zwar müssen wir nicht so weit gehen wie Giorgio Moroder – der legendäre Musikproduzent und Komponist. Er rief das neue Mantra „74 is the new 24“ aus, als er aus dem Ruhestand in die aktive Musikerlaufbahn zurückkehrte. Aber sein Statement zeigt eine wichtige Richtung: Auch jenseits der Altersgrenze von 65 Jahren gibt es in Zukunft ein Berufsleben. Jeder Arbeitgeber, auch der öffentlichen Hand, sollte diese neue Realität anerkennen – und im Angesicht zunehmenden Bewerbermangels danach handeln.


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