Autorin: Désirée Verhaert

Die modernen Arbeitsstile stellen Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber vor neue Herausforderungen. Die Globalisierung und digitale Transformation münden in einen Zuwachs von Instabilität, Konkurrenz und Komplexität, die allen Beteiligten eine gesteigerte Konzentration, eine bessere kognitive Verarbeitung, Umstellungsbereitschaft und Adaptationsfähigkeit abverlangt. Multitasking, ständige Erreichbarkeit sowie Zeit- und Leistungsdruck stellen immer mehr psychische Anforderungen an den modernen Arbeitnehmer. Gepaart mit einem Mangel an internen Ressourcen kann dies zu kurz- und langfristigen Folgen wie Krankheitsausfällen und Arbeitsunfähigkeit führen. Um den wechselnden Bedingungen und neuen Anforderungen zu begegnen, etablieren immer mehr Arbeitnehmer und Unternehmen eine achtsamkeitsbasierte Praxis. Aktuelle Forschung im Arbeitskontext zeigt, dass Achtsamkeitsübungen die Fähigkeiten fördern, die die Mitarbeiter im Umgang mit (unvorhersehbaren) Veränderungen benötigen. Global Player wie Google und SAP schätzen bereits langjährig die Achtsamkeit als Technik zur Stärkung der mitarbeiterbezogenen Ressourcen und wertschätzenden Führungskultur.

I. Was ist Achtsamkeit?

Achtsamkeit ist ein „spezifischer, trainierbarer Bewusstseinszustand […], der auf das direkte und nicht wertende Gewahrsein dessen abzielt, was in jedem Augenblick geschieht“. 1)
Somit beschreibt das Konstrukt eine bewusste und bewertungsfreie Wahrnehmung des gegenwärtigen Momentes, in der die volle Aufmerksamkeit und die Empfindungen aller Sinne auf das Innere und/oder das Äußere gerichtet sind. Beispielsweise schweifen die Gedanken beim achtsamen Essen in der Mittagspause nicht zum nachfolgenden Termin ab, sondern man konzentriert sich auf alle Details des Essens (die Farben, Gerüche, Textur, Kaugeräusche und zahlreichen Geschmacksnuancen).

Basierend auf einer alten buddhistischen Tradition aus den Ost-Asiatischen Ländern zog die Achtsamkeit als meditative Technik in den 1950/60er Jahren in die Medizin und Psychologie des Westens ein. Weltweite Bekanntheit erlangte die Achtsamkeit v. a. durch den Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn. Dieser nutzte in den 1970er Jahren erstmals achtsamkeitsbasierte Techniken im klinischen Setting und initiierte das Programm Mindfulness-Based Stress-Reduction (MBSR) im Massachusetts University Hospital. Aufbauend auf den Erfolgen dieses Verfahrens zur Stressreduktion werden Achtsamkeitsübungen heutzutage auch bei der Behandlung von psychischen Störungen, wie beispielsweise Depressionen und chronischen Schmerzen, angewendet. Mittlerweile gibt es zahlreiche Forschungsuntersuchungen, die die Effekte von Achtsamkeit im klinischen Bereich untersuchen und die positive Wirkung von achtsamkeitsbasierten Techniken auf das Stresserleben nachweisen.

Nicht zuletzt auf Grund der positiven Effekte in der Medizin und Psychologie findet die Achtsamkeit auch im Arbeitskontext und der Wirtschaft immer mehr Anklang. Zu Beginn war es der Pionier Chade-Meng Tan, ein Ingenieur bei Google, der achtsamkeitsbasierte Techniken aus seinem privaten Leben in die Arbeitswelt integrierte. Er konzipierte das erste Achtsamkeitsprogramm für sich und seine Kollegen, welches schnell zum beliebtesten Ausbildungsverfahren bei Google wurde, und initiierte damit den Durchbruch von MBSR in der Arbeitswelt. 2)

II. Achtsamkeit innerhalb der Arbeitswelt

Das gesteigerte Bewusstsein über die Relevanz des Humankapitals für die Zukunftsfähigkeit von modernen Unternehmen spiegelt sich in der zunehmenden Initiierung von organisationalen Entwicklungsprogrammen wider, die die Stärkung des Wohlergehens der Mitarbeiter zum Ziel haben. Immer mehr Unternehmen etablieren achtsamkeitsfördernde Trainings, um den negativen Folgen von arbeitsbedingtem Stress frühzeitig vorzubeugen und die Adaptabilität der Mitarbeiter zu fördern. Obwohl noch immer von einigen als esoterische Methode abgetan, findet die Achtsamkeit nicht zuletzt durch die wissenschaftlich fundierten positiven Effekte vermehrt Einzug in die Wirtschaft. Vorreiter wie beispielsweise Google und Aetna betonen den Stellenwert einer Kultivierung von Achtsamkeit in die Geschäftswelt mit der Einführung eines Chief Officers of Mindfulness.

Für eine erfolgreiche Bewältigung von hohen und andauernden Anforderungen wie beispielsweise bei Change-Prozessen ist eine gute Ressourcenausstattung der Mitarbeiter und Führungskräfte unabdingbar. Eine achtsame Haltung und ein achtsamer Leistungseinsatz können dabei als Ressourcen gegen unvermeidbare (Fehl-)Belastungen wirken. Das Ziel von Achtsamkeitstrainings im Arbeitskontext ist die Stärkung der Stressresistenz und die Schulung von Mitarbeitern und Führungskräften im Umgang mit Veränderungen. Zahlreiche Studien belegen die stressreduzierenden Effekte von Achtsamkeitstrainings im Business-Kontext. Durch die bewusste und nichtwertende Erfahrung der Gegenwart können achtsame Mitarbeiter Stresssituationen isoliert von den eigenen Empfindungen betrachten. Bei der Konfrontation mit belastenden Arbeitssituationen fokussieren sie weniger vergangene oder zukünftige Schwierigkeiten, sondern akzeptieren vielmehr die momentane Situation. Dies ermöglicht eine konstruktivere Stressbewältigung und führt zu weniger stressbedingten Ausfällen. In ihrer aktuellen Übersichtsarbeit beschreiben Carmona-Torres und Kollegen mittlere bis hohe Effekte von standardisierten Achtsamkeitsprogrammen auf das subjektive Stressempfinden. Darüber hinaus lassen sich auch in neuropsychologischen und physiologischen Untersuchungen Hinweise bei achtsamen Berufstätigen auf einen niedrigeren Cortisolspiegel und eine geringere Ausprägung von Stresssymptomen finden. Unterstützt werden diese Ergebnisse von einer Studie der Mayo-Kliniken. 3)
Diese konnte zeigen, dass eine Stunde Achtsamkeitstraining verglichen mit einer Stunde bezahlter freier Zeit stärker die Burn-Out-Symptomatik der teilnehmenden Arbeitnehmer reduziert.

Neben der effektiven Stressregulierung verbessert eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis auch die Aufmerksamkeit. Trotz innerer und äußerer Ablenkungen an modernen Arbeitsplätzen können achtsame Mitarbeiter sich selbst bewusster wahrnehmen und somit auch frühzeitig ihre Grenzen der individuellen Leistungsfähigkeit erkennen. So wird ermöglicht, dass die betroffenen Personen rechtzeitig Coping-Strategien initiieren können, die einen möglichen Produktivitätsverlust verhindern. Folglich wird der nachhaltige Leistungserfolg des einzelnen Mitarbeiters, aber auch des gesamten Unternehmens sichergestellt und daraus resultierende volkswirtschaftliche Kosten reduziert. Die mittleren bis hohen Effekte von achtsamkeitsbasierten Techniken auf die Produktivität wurden in einer aktuellen Übersichtsarbeit bestätigt. 4)

Darüber hinaus beeinflussen achtsamkeitsbasierte Trainings auch teamrelevante Eigenschaften und Fähigkeiten der Mitarbeiter und Führungskräfte am Arbeitsplatz. Studien im organisationalen Kontext postulieren positive Effekte von Achtsamkeit auf die Zusammenarbeit im Team, auf Verhandlungskompetenzen und auf das Engagement der Mitarbeiter. Achtsame Mitarbeiter und Führungskräfte sind empathischer, zeigen mehr Mitgefühl und können besser andere Perspektiven übernehmen. Dies führt zu einem Miteinander, welches durch Wertschätzung und gegenseitige Unterstützung geprägt ist.

Gerade in Zeiten der stetigen Veränderung müssen Organisationen auf allen Ebenen adaptiv und agil reagieren. Auch hier kann die Achtsamkeit ansetzen, denn durch die Bewusstseinslenkung sensibilisiert sie für neue Denk- und Handlungsmuster und fördert eine offene Grundhaltung. Organisationale Achtsamkeitstrainings steigern nachweislich die Kreativität und Innovationsbereitschaft der Mitarbeiter und helfen somit auch im Umgang mit den meist unvorhersehbaren arbeitsbezogenen Veränderungen.

Auf Grund dieser positiven und wissenschaftlich fundierten Wirkungsweisen wurde die Achtsamkeit bereits von namhaften internationalen Unternehmen wie unter anderem Apple, Bosch, Siemens und SAP kultiviert. Aber auch der öffentliche Sektor hat begonnen, Achtsamkeit in die Personalentwicklung und Gesundheitsförderung zu integrieren. Die eingesetzten achtsamkeitsbasierten Programme sind dabei kürzer als die therapeutischen Verfahren, beinhalten jedoch trotzdem Elemente der MBSR. Weit verbreitet ist beispielsweise der BodyScan oder die achtsame Durchführung von alltäglichen Tätigkeiten wie Essen oder Trinken. Im Kontext der Arbeitswelt empfehlen sich auf einzelne Arbeitsprozesse angewandte Übungen, wie beispielsweise die achtsame Kommunikation oder achtsames E-Mailing.

Peter Bostelmann, Leiter des Programms „Global Mindfulness Practice“ bei SAP, bescheinigt seinem internen Achtsamkeitstraining ein 200-prozentiges Return on Investment, messbar anhand der gestiegenen Indizes Employee Engagement und Leadership, am Rückgang von (krankheitsbedingten) Fehlzeiten und an den Umfragewerten der teilnehmenden Mitarbeiter. Weitere Hinweise zum Kosten-Nutzen-Verhältnis liefert die Untersuchung von Gelles im Jahre 2016 5): Nach der Einführung eines Achtsamkeitstrainings konnten beim Unternehmen Aetna etwa 2.000 US-Dollar pro Mitarbeiter an gesundheitsbezogenen Kosten eingespart und circa 3.000 US-Dollar pro Mitarbeiter an Produktivität als Gewinn verzeichnet werden.

III. Hinweise zur Implementierung von Achtsamkeit

Um Achtsamkeitstechniken und -programme erfolgreich im Unternehmen zu verankern, müssen achtsamkeitsfördernde Bedingungen geschaffen werden. Auf allen organisationalen Ebenen sollte hierfür ein Konsens bezüglich der Einstellung und Vorstellung von sowie des Verständnisses für Achtsamkeit erzielt werden, damit diese als vollwertige Maßnahme der Gesundheitsförderung und Personalentwicklung anerkannt wird. Die Möglichkeit Achtsamkeit zu praktizieren, sollte allen Beschäftigten bedingungslos zugestanden werden. Im organisationalen Kontext sollte umfassend für Achtsamkeitsthemen und Selbstfürsorge sensibilisiert werden. Eine bedeutende Rolle bei der Implementierung einer Achtsamkeitskultur können Führungskräfte durch ihre authentische und vorbildhafte Achtsamkeitspraxis und das gezielte Einbringen dieser im Arbeitsalltag spielen. Zudem sollten den Teilnehmern störungsfreie Zeiten und räumliche Gegebenheiten zur Praktizierung eingeräumt werden. Inhaltlich erweisen sich Achtsamkeitsprogramme, die eine ausgewogene Mischung von klassischen und arbeitsbezogenen Übungen enthalten, als besonders erfolgversprechend, da so der Transfer in den Arbeitsalltag bestmöglich gelingt. Im Hinblick auf eine effektive Durchführung empfiehlt sich ein wöchentliches Trainingsintervall von acht Einheiten mit je zwei Stunden. Neben einer hohen Motivation und Begeisterungsfähigkeit sollte der Achtsamkeitstrainer auch ausgeprägte methodische und didaktische Kompetenzen aufweisen, um den Mitarbeitern und Führungskräften die Achtsamkeitstechniken erfolgreich zu vermitteln. Perspektivisch können auch interne Achtsamkeitsexperten im Unternehmen ausgebildet werden. Nicht zuletzt müssen auch die Teilnehmer der Programme eine Offenheit gegenüber der Achtsamkeit und seinen Techniken mitbringen. Die nachhaltige Aktivierung der positiven Effekte von achtsamkeitsbasierten Übungen erfordert von den Beteiligten eine regelmäßige und konsequente Anwendung.

IV. Kleine Achtsamkeitsübungen für den Arbeitsalltag

Laut dem überblicksartigen Artikel zum aktuellen Forschungsstand zur Achtsamkeit im Business-Kontext erweisen sich Mikrointerventionen als besonders effektiv.6)
Auch in Arbeitskontexten, die durch schnell wechselnde Aufgaben und Zeitdruck gekennzeichnet sind, können Achtsamkeitsübungen in den Alltag integriert werden.


Wir zeigen Ihnen, wie unsere zfm-Mitarbeiter mit Hilfe einfacher und schneller Praktiken die Achtsamkeit in ihren Arbeitsalltag integrieren können. Unsere Personalberater profitieren direkt am Arbeitsplatz von den positiven Effekten der Achtsamkeit auf die Stress- und Aufmerksamkeitsregulation.

Übung 1:

Teambesprechungen erfordern Konzentration und eine Aufmerksamkeitsfokussierung auf die relevanten Sachverhalte und Teilnehmer des Meetings. Um die Produktivität zu erhöhen, empfiehlt die Erfahrung der Achtsamkeitspraxis von zfm einen bewussten Moment der Stille zu Beginn des Termins. Dadurch wird das Abschweifen der Gedanken zurück zur letzten E-Mail oder zum morgigen Auswärtstermin verhindert, welches sich destruktiv auf den Erfolg der Besprechung auswirken kann. Das achtsame Ein- und Ausatmen, bewusste Innehalten und Beiseiteschieben der aufdrängenden Gedanken am Anfang des Termins helfen den Mitarbeitern dabei, die volle Aufmerksamkeit auf die Themen zu lenken.

Übung 2:

Der kontinuierliche Austausch mit Kollegen oder Kunden führt bei Personalberatungsunternehmen oft dazu, dass der Kopf auch in den dafür vorgesehenen Arbeitspausen selten abschaltet. Neben der Mittagspause bieten sich auch andere Gelegenheiten für achtsamkeitsbasierte Übungen an. Genutzt wird von zfm auch beispielsweise der Fußweg von einem Termin zum nächsten. Die bewusste Entschleunigung des Tempos und das gezielte Wahrnehmen der eigenen Körperbewegungen sowie der Umgebungsfaktoren helfen dabei, wach und fokussiert ins nächste Meeting zu starten.

Übung 3:

Um eine wertschätzende Führung zu praktizieren, wenden unsere Führungskräfte von zfm auch achtsamkeitsbasierte Techniken an. Das explizite Zeitnehmen für den individuellen Mitarbeiter, das achtsame Zuhören und das bewusste nichtwertende Sammeln von Informationen führt dazu, dass die Führungskraft einen umfassenderen Eindruck vom Gesamtbild erfährt und sie sich gezielter auf den Gesprächspartner abstimmen kann. Die Belange des Mitarbeiters werden ernst genommen und er fühlt sich geschätzt. Die gewonnene Klarheit unterstützt im konstruktiven Umgang mit etwaigen Problemen.

V. Zusammenfassung

Vor dem Hintergrund der Zunahme an arbeitsbedingten, psychischen Fehlbelastungen und steigenden Herausforderungen in der modernen Arbeitswelt befassen sich immer mehr Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit achtsamkeitsbasierten Praktiken. Achtsamkeit als Technik des fokussierten und zugleich entspannten Bewusstseins unterstützt nachweislich die Mitarbeiter und Führungskräfte dabei, die eigenen Ressourcenquellen situativ und nachhaltig zu nutzen. Neben den stressregulierenden Effekten zeigen sich weitere positive Zusammenhänge zwischen Achtsamkeitstrainings und der Aufmerksamkeitsregulation, dem Engagement, der Kreativität und der Empathie. Eine Kultur der Achtsamkeit in Unternehmen kann somit nicht nur als gesundheitsfördernde, sondern auch als Personalentwicklungsmaßnahme implementiert werden. Durch die Vermittlung und konsequente Umsetzung von kurzen und kostengünstigen Achtsamkeitstechniken in verschiedenen Situationen des Arbeitsalltags erhalten Mitarbeiter sowie Führungskräfte ein etwas anderes Handwerkszeug, welches ihnen effektiv bei der Bewältigung der neuen Herausforderungen an modernen Arbeitsplätzen hilft.

—————————————————–

  1. Kohls, N., Berzlanovich, A., & Sauer, S., Achtsamkeit in Organisationen: Vom Stress- management über das achtsame Interagieren und Führen zur bewussten Gestal- tung von Veränderungsprozessen, in W. Kersten & J. Witttmann, Kompetenz, Inter- disziplinarität und Komplexität in der Betriebswirtschaftslehre, Wiesbaden 2013, 163-177.
  2. Tan, C.-M., Search Inside Yourself: Das etwas andere Glücks-Coaching, New York 2012.
  3. West, C.P., Dyrbye, L. N., & Rabatin, J. T. et al., Intervention to promote physician wellbeing, job satisfaction and professionalism: A randomized clinical trial, JAMA In- ternal Medicine 2014.
  4. Carmona-Torres, J. A., Kohls, N., Hood, R. W., Silver, C. F., & Walach, H., The associa- tion between different spiritual practices and the occurrence of exceptional human experiences in a non-clinical sample. Journal for the Study of Spirituality, 8 (1), 2018, 49-64.
  5. Gelles, D., Mindful work: How meditation is changing business from the inside out, Reprint edition. E. Dolan (Hrsg.), Boston 2016.
  6. Kohls, N., Rupprecht, S., & Tamdjidi, C., Achtsamkeit in Unternehmen – Ein Überblick über den Forschungsstand. Wirtschaftspsychologie aktuell, 3, 2017, 28-34.

Artikel erschienen in der Zeitschrift für Betrieb und Personal, Stollfuß Medien


1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne

Archiv

0228 265004