Rund ein Drittel aller Mitarbeitenden ist bereit für einen Wechsel an eine andere Arbeitsstelle. Was für sie eine Chance auf Verbesserung ist, ist für Arbeitgeber eine Katastrophe: Mit altgedienten Angestellten gehen Kompetenz, Verlässlichkeit und Know-how verloren. Zudem kann eine Kündigung weitere Kündigungen nach sich ziehen. Idealerweise verhindern Sie den Weggang also, indem Sie Bleibegespräche (Stay Interviews) führen, sobald Sie merken, dass jemand aus Ihrem Team sich innerlich abwendet.
Hinweise auf die innere Kündigung
Falls der Wechselwunsch nicht durch äußere Umstände wie etwa einen geplanten Umzug zustande kommt, ist der oder dem Angestellten meist im Vorfeld etwas anzumerken. Sie als aufmerksame Führungskraft können etwa einige der folgenden Verhaltensweisen feststellen:
- Die Leistungsfähigkeit sinkt, es kommt häufiger zu Fehlern.
- In Meetings ist die Person ebenso still wie bei der Projektarbeit.
- An Aktivitäten mit dem Team außerhalb der Arbeit nimmt sie nicht (mehr) teil.
- Interaktionen mit dem Kollegenkreis (etwa in der Kaffeeküche) finden kaum mehr statt.
- Die Person meldet sich häufiger krank.
- Sie beschwert sich öfter als früher über Umstände bei der Arbeit.
Fällt Ihnen ein solches Verhalten auf, sollten Sie einen Blick in die Profile der bzw. des Mitarbeitenden bei Jobplattformen wie LinkedIn oder Xing werfen: Sind die Informationen auf dem neuesten Stand, signalisiert die Person vielleicht sogar Interesse an Angeboten? Dann ist es höchste Zeit für ein Gespräch!
Bleibegespräch nach der Kündigung
Selbst nach der Kündigung können Sie noch ein Stay Interview führen. Die Chance auf Erfolg ist hier geringer, meist hat die jeweilige Person bereits eine neue Stelle in Aussicht. Manche lassen sich dennoch umstimmen. In den meisten Fällen sind dann aber beachtliche Gehaltserhöhungen oder eine Beförderung im Spiel.
Vorbereitung: Informationen rekapitulieren
Rufen Sie sich ins Gedächtnis, was Sie vom Privatleben, von der Lebenssituation und von den beruflichen Zielen der Person wissen. Kann der Grund hier liegen? Überdenken Sie, was Sie an zwischenmenschlichen Strömungen im Team mitbekommen haben – gibt es hier Streit, kommt es zu Mobbing?
Führungsrolle reflektieren
Beinahe die Hälfte aller Angestellten gibt an, schon einmal wegen einer Führungskraft gekündigt zu haben. Hand aufs Herz – kann es sein, dass Ihr Verhalten ein bisschen mit in die Arbeitsunlust der oder des Mitarbeitenden hineinspielt? Ehe Sie ein Bleibegespräch führen, sollten Sie sorgfältig überlegen, was die Person an Ihnen und am Arbeitsplatz an sich zu bemängeln haben könnte:
- Haben Sie Wertschätzung gezeigt, konstruktives Feedback gegeben und Lob ausgesprochen, wo es angebracht war?
- Haben Sie Versprechen, die Sie gegeben haben, eingehalten?
- Wird die Person angemessen bezahlt?
- Hat sie in der Behörde bzw. im Unternehmen Karrieremöglichkeiten und wird entsprechend gefördert?
- Leidet sie eventuell unter unflexiblen Arbeitszeiten?
Haben Sie es versäumt, Interesse für die beruflichen, aber auch die persönlichen Bedürfnisse der offenbar wechselwilligen Person aufzubringen, kann das Gespräch anstrengend für Sie werden.
So laden Sie zum Bleibegespräch ein
Bitten Sie die bzw. den Mitarbeitenden um ein persönliches Gespräch. Tun Sie das nicht im Vorbeigehen, sondern suchen Sie die Person direkt am Arbeitsplatz auf. Am besten warten Sie dafür, bis sie allein ist. Nennen Sie nicht den Grund, sondern sagen Sie nur, dass Sie ein Gespräch unter vier Augen wünschen und dass keine Sorgen nötig sind. Vereinbaren Sie am besten direkt einen Termin.
Tipp: Ihre Vorbereitungen sollten Sie jetzt schon abgeschlossen haben – vielleicht passt es der Person genau in diesem Moment, dann können Sie das Gespräch sofort führen.
Der angemessene Rahmen für ein Bleibegespräch
Das Stay Interview kann voller Überraschungen sein. Tatsächlich lässt es sich inhaltlich kaum vorhersagen. Ist die oder der Mitarbeitende etwa richtig wütend, kann es sein, dass das Gespräch lange dauert und emotional wird. Auf jeden Fall sollten Sie sich genügend Zeit dafür blocken: Es bringt nichts, wenn Sie Ihr ernsthaftes Interesse an der Person bekunden und dann die ganze Zeit nervös auf die Uhr schauen. Sorgen Sie dafür, dass Ihnen ein ruhiger Ort zur Verfügung steht, an dem Sie niemand stören wird.
So kann das Bleibegespräch ablaufen
Im Gespräch selbst versuchen Sie herauszufinden, ob Sie richtig liegen mit der Annahme, dass die oder der Mitarbeitende auf dem Absprung ist. Falls ja, müssen Sie die Gründe in Erfahrung zu bringen versuchen und sie nach Möglichkeit ausräumen. Das wird nicht immer funktionieren, oft nehmen Sie aber zumindest wichtige Erkenntnisse mit.
Die Eröffnung mit Ich-Botschaften
Bleiben Sie bei der Erklärung der Gründe für das Gespräch immer bei sich. Möglich sind Sätze wie: „Es kam mir in letzter Zeit so vor, als würden Sie sich zurückziehen. Ich mache mir Sorgen, das wir Sie verlieren könnten. Das möchten wir nämlich nicht“ oder „Sie wissen ja, dass sich gerade einiges bei uns ändert. Mir kommt es vor, als würden Sie sich Sorgen um den Job machen. Falls dem so ist, kann ich Sie beruhigen: Ihre Stelle ist sicher und wir sind froh, dass Sie da sind.“
Tipp: Sagen Sie nicht, dass Sie Gerüchte über Kündigungsabsichten gehört haben, auch wenn das stimmt! Dann möchte die Person nämlich wissen, wer geplaudert hat, und Sie geben entweder Ihre Quelle preis, was für Unmut sorgt, oder starten mit einer Verweigerung ins Gespräch – auch das ist keine gute Voraussetzung.
Zuhören – auch wenn es schwerfällt
Unter Umständen ist die Person einfach verwirrt, weil Sie sich getäuscht haben. Vielleicht bleibt sie eher still, weil sie zwar mit dem Gedanken an eine Kündigung gespielt hat, aber noch keine konkreten Pläne hatte. Dann müssen Sie sie aus der Reserve locken und nachfragen, wie ihr der Job gefällt und ob sie eventuell Verbesserungsvorschläge oder Wünsche hätte.
Es kann aber auch sein, dass Sie mit Ihrer Frage direkt in ein Wespennest stechen. Wenn jetzt die Schleusen aufgehen, bekommen Sie vielleicht einiges zu hören, das Sie anders sehen oder als unfair empfinden – oder wovon Sie einfach nichts gewusst haben. Emotionen sind in dieser Situation fehl am Platze. Empörung oder Wut schlucken Sie am besten herunter. Lassen Sie die Person reden, bis sie fertig ist, und stellen Sie danach höchstens Verständnisfragen.
Gemeinsam überlegen, was sich ändern müsste
Falls es private Gründe sind, aus denen die Person kündigt, können Sie nichts anderes tun, als ihr Glück zu wünschen und sie ziehen zu lassen. Ist sie fest entschlossen, auf jeden Fall die Arbeitsstelle zu wechseln, können Sie sie ebenfalls nicht aufhalten. Lässt sie sich zumindest auf ein Gespräch ein und erklärt, was es ist, das sie über einen Jobwechsel nachdenken lässt, haben Sie eine Chance.
Finden Sie heraus, was sich verbessern müsste. In den einfachsten Fällen geht es „nur“ um Gehalt, geldwerte Vorteile oder (Be-)Förderung. In anderen Fällen kann beispielsweise eine Mediation nötig werden, wenn es ungelöste und verhärtete Konflikte im Team gibt. Vielleicht müssen Sie auch herausfinden, wie die Person ihre Stunden reduzieren oder mehr von daheim aus arbeiten kann. Schwieriger wird es, wenn die Sinnhaftigkeit im Job fehlt oder die Person mit der Unternehmenskultur nicht klarkommt.
Erklären Sie, welche Änderungen machbar sind. Versprechen Sie nichts, was Sie nicht halten können, aber versichern Sie der Person, dass ihre Leistung für das Unternehmen wahrgenommen und geschätzt wird und dass Sie sie wirklich gern halten möchten. Stellen Sie in Aussicht, dass Sie Rücksprache mit Ihrem Vorgesetzten halten werden, und vereinbaren Sie einen neuen Gesprächstermin. So gesehen, gehört und ernst genommen zu werden, fühlt sich für viele Mitarbeitende bereits gut an.
Nach dem Gespräch: Änderungen anstoßen
Nach dem Bleibegespräch sollten Sie Rücksprache mit Ihren Vorgesetzten halten und erklären, was die Voraussetzungen für die Person sind, ihre Kündigung nicht einzureichen. Erklären Sie, was Sie selbst dafür tun können, und bitten Sie um Unterstützung bei den Dingen, die nicht in Ihrer Macht stehen.
Halten Sie die oder den Mitarbeitenden auf dem Laufenden, was die Veränderungen angeht. Dafür müssen Sie nicht den nächsten Gesprächstermin abwarten: Mit kurzen Rückmeldungen zwischendurch zeigen Sie, dass Sie dem Thema die angemessene Aufmerksamkeit schenken und daran arbeiten.
Wenn Sie es schaffen, für die wechselwillige Person angenehme Arbeitsbedingungen herzustellen, haben Sie ihre Loyalität und Kenntnisse für das Unternehmen gesichert und gleichzeitig hohe Kosten und wertvolle Einarbeitungszeit für einen Ersatz verhindert.
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